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Sonntag, 11. November 2012

Frauen sehen Dinge anders

Ich bin nicht sicher, ob ich als Mann überhaupt befugt bin, über den ersten Koffermarkt in Solothurn zu schreiben, betrug doch die Frauenquote bei den Ausstellerinnen 100%. Die rund vierzig Kunsthandwerkerinnen, die am 3. November im Kreuzsaal ihre Ware aus ihren Koffern anboten, sind natürlich überzeugt, schöne Sachen zu produzieren und zu verkaufen. Mich jedoch hat’s nicht gepackt. Ob’s daran liegt, dass Frauen Dinge anders sehen als Männer?



Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich nach dem Konzert am Vorabend recht früh aus den Federn musste, um den Saal aufzuschliessen und beim Einrichten für den Koffermarkt zu helfen – die Veranstalterinnen waren zwar gut organisiert, aber ich bin definitiv kein Morgenmensch.



Aus der halben Deutschschweiz trudelten allmählich die Marktfahrerinnen ein – teils mit dem Auto, teils konzeptgerecht mit dem öffentlichen Verkehr. Die wenigen Männer waren für einmal zu Hilfspersonal degradiert – und waren als Chauffeure und Kofferschlepper zu Diensten. Wäre es mein Job gewesen, hätte ich den halben Morgen lang als Lichttechniker die Kofferschätze ins beste Licht rücken können…



Als dann die ersten potenziellen Käuferinnen – die wenigen Männer sind mit gemeint – eintrafen, herrschte eine aufgeräumte, erwartungsvolle und fröhliche Stimmung. Frau begutachtete das Angebot, das von individuell gestaltetem Schmuck über genähte Täschchen, gedruckte Kärtchen und gehäkelten Süssigkeiten bis zu Etageren aus Flohmarkttellern und gehobenen Mitbringseln reichte – unmöglich, die kunterbunten Kofferschätze in wenigen Stichworten zusammenzufassen.



Bei den gehäkelten Süssigkeiten kam mir unweigerlich die Frage in den Sinn, die ich hier schon zur Diskussion gestellt habe: Kann Stricken Kunst sein? Und zur Etagerenproduktion hätte ich massenhaft Teller beitragen können…



Aber auch im weiteren Verlauf des Koffermarkts konnte ich mich nicht fürs Angebot erwärmen. Als ich Frau Frogg davon erzählte und ihr diese Bilder zeigte, meinte sie: Diese Sachen sind wirklich schön. Da keimte in mir erstmals der Verdacht, dass Männer einen anderen Blick auf dekorative Dinge haben könnten als Frauen.



Dass ich mit den Kofferschätzen nichts anfangen konnte, lag vielleicht aber auch daran, dass mein Bruder, Frau Frogg und ich in der Woche davor mehrere Bananenschachteln voll „Tchotchkes“ erfolgreich entsorgt hatten. Tchotchke ist ein Wort, das mein Bruder aus Amerika mitgebracht hat und in der jüdischen Community in New York gebräuchlich ist. Es bedeutet etwas zwischen Schnickschnack, Nippes und Kitsch. Tchotchkes sind bestenfalls dekorativ, meistens nutzlos und manchmal nur noch Staubfänger…



Der erste Koffermarkt in Solothurn war jedenfalls gut besucht, die Stimmung war ausgezeichnet und die Organisatorinnen zufrieden. Ich jedoch bin mir seither sicher: Frauen haben einen anderen Blick auf die Dinge als Männer!

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Black Box unterm Bett

Bei der Räumung der Wohnung meines Vaters fanden wir unter dem Bett eine geheimnisvolle, schwarze Kiste. Der Deckel war mit vier Schrauben befestigt und an der Vorderseite ist ein rhombenförmiges Schild mit rotem Blitz und der Aufschrift "Original Phylax" angebracht. Das Wesen einer Black Box ist bekanntlich unbekannt — man weiss nicht, was darin passiert. Aber bei dieser schwarzen Kiste deutet nichts darauf hin, dass etwas hineingehen oder herauskommen würde, ist also auch der Input und der Output unbekannt. Geheimnisvoller geht's nicht mehr!



Ich hatte einen Verdacht, was diese schwarze Kiste unter dem Bett meines Vaters sein könnte, aber selbstverständlich war unsere Neugierde geweckt...



Wir mussten wissen, was in der Black Box unterm Bett steckt. Wir schraubten also den Bakelit-Deckel ab...



...und zum Vorschein kam diese merkwürdige Installation mit aufgewickeltem Draht und einem Zettel mit dem Herstellungsdatum: 30. Dezember 1952. Wir jedoch waren noch kein bisschen schlauer.



Als wir dann auch noch die Platine herausschraubten, fanden wir zwar auf der Unterseite einen angelöteten Kondensator, aber für uns war die aufgeschraubte und ausgeweidete schwarze Kiste nach wie vor eine Black Box unbekannten Wesens.

Erst durch eine Internetrecherche lüftete sich das Geheimnis: Der Original Phylax ist ein Erdstrahlenentstörgerät — ziemlich sicher ein Geschenk meines Grossvaters, der als passionierter Wünschelrutengänger Wasseradern aufspürte und seinen Sohn vor schädlichen Erdstrahlen schützen wollte. Ich denke mir, dass unser Vater ihn gewähren liess — ganz nach dem Motto: Nützt's nüt, so schadt's nüt!

Freitag, 19. Oktober 2012

's esch Määs z'Lozärn — Luzern grüsst Wien

Luzerndeutsch für: Es ist Messe in Luzern. Interessanterweise benutzen die LuzernerInnen nicht das schweizerdeutsche Wort Chilbi, das heute vor allem Rummelplatz bedeutet, sondern "Määs", das auf das Wort "Kirchmesse" zurückgeht. Die Määs ist also auch eine Folge von St. Leodegar. Hier ein paar Impressionen vom Jahrmarkt, der noch bis Sonntag dauert.


Das Wahrzeichen der Määs ist von weitem zu sehen: das Riesenrad neben dem Kultur- und Kongresszentrum Luzern.


Noch weiter allerdings ist die Määs zu hören: Schon in der Altstadt kündigt sich die Määs mit Kindergekreisch an, das allerdings nicht von diesem Kettenkarussell kommt, sondern von der Piratenschaukel.


Schon seit 1901 gibt es das Original Seetaler Carousel.


Der Kulturflaneur mit neuem Hut — ein Geschenk von Frau Frogg (danke!). In den Jahrmarktbuden auf dem Inseli gibt es nicht nur Hüte, sondern vom Indianerschmuck über tibetanische Klangschalen und Duftessenzen bis zum Silberputzmittel und zum Rossfleisch alles zu kaufen...


Der Blick vom Riesenrad auf die Seebrücke und die Luzerner Altstadt, ...


... auf das Seebecken und die Rigi und ...


... auf das renovationsbedürftige KKL-Dach und die eindrückliche Wolkenkulisse am Pilatus.


Auch wenn's nur die kleine Schwester vom ehrwürdigen Riesenrad am Prater ist: Luzern grüsst Wien!

Samstag, 13. Oktober 2012

Gefährliches Image

In meinem Eintrag über die Tiefseetaucher im Hochgebirge habe ich über die Verzasca als schönen, gefährlichen Fluss geschrieben. Offenbar ist die Gefährlichkeit der Verzasca schweizweit so bekannt, dass sie sogar in der Werbung verwendet werden kann...



Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung nützt jedenfalls das Image des gefährlichen Flusses für ihre aktuelle nationale Werbekampagne, denn alle wissen: Köpfler üben an der Verzasca ist gefährlich.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Der höchste und der tiefste Punkt

Den Ausflug auf den Hausberg von Locarno, die Cardada und die Cimetta, haben wir uns für einen schönen Tag aufgespart. Und das hat sich gelohnt, kann man doch von einem Punkt aus den höchsten und den tiefsten Punkt der Schweiz sehen. In diesem Eintrag geht es ausserdem um Seilbahnarchitektur, die Tessiner Flora, Legoberge und Mosto Amaro.



Im Zentrum dieses Eintrags steht jedoch der fantastische Rundblick — hier von der Cimetta (1671 m.ü.M.): Der Blick geht dem Lago Maggiore entlang bis weit nach Italien, gut zu sehen auch das Maggiadelta mit Locarno und Ascona sowie die Isole di Brissago. Während Locarno grösstenteils von der Panoramatafel verdeckt wird, ist im Mittelgrund über deren rechten Ecke ein bewaldeter "Gupf" auszumachen, die Cardada (1332 m.ü.M.). Dort ist die Bergstation der Luftseilbahn Orselina - Cardada. Mit etwas gutem Willen ist auf diesem verkleinerten Bild neben der Panoramatafel auch der Sessellift zu erkennen, der einem einen stündigen Aufstieg auf die Cimetta erspart.

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Anreise mit Standseilbahn, Luftseilbahn und Sessellift (gelb) von Locarno auf die Cardada und die Cimetta, Wanderung via Alpe Cardada und Monti di Lego nach Contra oder (als Variante) nach Mergoscia, Rückreise mit dem Bus der FART nach Locarno. Rot eingezeichnet ist unsere Wanderung zurück zu unserer Ferienwohnung in Contra. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch

Unsere Wanderroute auf der interaktiven Ansichtskarte der Cardada Impianti Turistici:

Zum Vergrössern auf das Bild klicken! Auf dem PDF sind die Wanderwege gelb eingezeichnet. Abgesehen davon, dass wir auf der Cimetta gestartet und nach Contra statt nach Mergoscia gewandert sind, entspricht unsere Route der empfohlenen Wanderung E.

1. Hochparterre-taugliche Seilbahnarchitektur

Als die Luftseilbahn auf die Cardada erneuert werden musste, wurde fürs Design der Tessiner Stararchitekt Mario Botta engagiert. Statt einer 0815-Seilbahn ab der Stange, sollte Bottas Architektur mithelfen, die Fahrt auf Locarnos Hausberg als Erlebnis zu verkaufen.



Die 2000 neu gebaute Luftseilbahn Orselina - Cardada. Links: die von Mario Botta und Paolo Pedrazzini entworfene Tal- und Bergstation. Rechts: der Platz hinter der Bergstation sowie der spektakuläre Aussichtssteg auf der Cardada, gestaltet von Landschaftsarchitekt Paolo Bürgi.

Im Artikel Ruhe am Berg*) über die Gestaltung von Seilbahnstationen im Heft Nr. 10/2010 der Architekturzeitschrift Hochparterre beklagt sich der Autor Marco Guetg darüber, dass bei Seilbahnen gute Architektur nur eine kleine Rolle spielt. Die Bahn auf die Cardada sei eines der wenigen positiven Beispiele:

"Im Tessin setze Mario Botta 2000 mit den Stationsgebäuden der Seilbahn von Locarna über Orselina hinauf nach Cardada in urbaner Umgebung ein Zeichen — ein Botta-Zeichen. Die Talstation entwarf er in Form einer Laterne, die Bergstation gleicht einem Radarschirm. Die Kabine sieht auch wie eine Laterne aus. Alle vier Seiten sind aus Glas, nichts verstellt die Sicht auf die Brissago-Inseln und das Maggia-Delta. Der Botta-Entwurf verlangt einen tiefen Seufzer. Damit er gebaut werden konnte, musste die Talstation von Peppo Brivio abgerissen werden. Ein wichtiges Zeugnis der Tessiner Architektur verschwand."

Während in der Pionierphase die Bergbahnen sich auch über repräsentative Tal- und Bergstationen zu verkaufen suchten, verpassen es heute — so das das Fazit des Artikels — die meisten Seilbahnen, ihre Bahn auch über gute Architektur zu vermarkten. Stattdessen seien die meisten Bergbahnbauten reine Zweckbauten. Die Bahn auf die Cardada ist tatsächlich eine löbliche Ausnahme, allerdings musste die Bahn Bottas Architektur teuer bezahlen: Der erste Kostenvoranschlag von 20 Millionen wurde um mehr als 50% überschritten und die Finanzen der Bahn mussten aufwändig saniert werden (vgl. www.pro-orselina.ch).

Furore macht auch die Gestaltung der Aussichtsplattform auf der Cardada: Zwischen den Bäumen führt ein von Paolo Bürgi gestalteter Steg über den Abhang hinaus und inszeniert die Aussicht auf spektakuläre Art und Weise:


www.listphobia.com (Bildquelle) listet die zehn spektakulärsten Aussichtsplattformen der Welt auf, darunter auch Bürgis Steg. Allerdings habe ich bei diesem Bild den Verdacht, dass es sich um eine Fotomontage handelt — die Seilbahn ist, glaube ich, zu hoch über dem Steg.

Spektakulär ist auch die Aussicht, die vom tiefsten bis zum höchsten Punkt der Schweiz reicht:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Der tiefste Punkt der Schweiz ist der Seespiegel des Lago Maggiore (193 m.ü.M.). Der höchste Punkt ist die Dufourspitze (4634 m.ü.M.), die in der Verlängerung des Pedemonte und des Centovalli (etwas rechts der Mitte) auszumachen ist. Das Tal, das sich nach rechts hinten Richtung Basodino (3272 m.ü.M.) und Gotthard erstreckt, ist das Maggia-Tal.

2. Mit der Sesselbahn auf die Cimetta



Die Sesselbahn auf die Cimetta überwindet etwa 300 Höhenmeter und ersparte uns einen stündigen Aufstieg. Von der Cimetta (1671 m.ü.M.) bietet sich der volle Rundblick:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Das etwa 320°-Panorama zeigt von links nach rechts den Gras-Fels-Rücken mit der Cima della Trosa (1869 m.ü.M.), das Val Verzasca, dahinter die markante Pyramide des Pizzo di Vogorno (2442 m.ü.M.), die Magadino-Ebene und der Lago Maggiore, dahinter der Ceneri-Pass und die Hügelkette mit dem Monte Tamaro, dem Monte Gambarogno und dem Monte Lema. Der Rest ist bekannt...

3. Tessiner Bergflora

Nach dem Mittagessen im Restaurant neben der Bergstation wollten wir über die Bassa di Cardada auf die Alpe di Cardada absteigen, aber wegen fehlender Wanderwegmarkierung verzichteten wir darauf, denn erfahrungsgemäss wachsen im Tessin nicht unterhaltene Wanderwege rasch zu und sind oft nur noch schlecht zu finden und meist mühsam zu begehen. Aber auch der direkte Abstieg von der Cimetta erwies sich als mässig ideal, dafür sahen wir diese wunderschönen weissen Blumen und den farbenprächtigen, gelben Ginster:



Bei den weissen Blumen handelt es sich vermutlich um weisse Lilien, die ich ausserhalb von Gärten noch nie wild wachsen sah. Hingegen massenhaft angetroffen haben wir den gelben Ginster. Bei den unteren beiden Blumen, die wir im späteren Verlauf der Wanderung gesehen haben, habe ich keinen blassen Schimmer, um was es sich handelt.

4. Hoch über dem Val Resa

Vom Höhenweg über dem Val Resa, der meist im Wald verläuft, bietet sich hin und wieder ein Ausblick ins Tal und auf die Magadino-Ebene:



5. Ginstergelb und Himmelblau

Und immer wieder kontrastiert das Gelb des Ginsters mit dem Blau des Himmels:



6. Mosto amaro auf den Legobergen

Die Wanderung führt uns auf die Monti di Lego, eine Alp auf dem Bergrücken zwischen Contra und Mergoscia. Auch von hier bietet sich wieder ein toller Rundblick:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Das etwa 320°-Panorama zeigt von links nach rechts die Magadino-Ebene, den Lago Maggiore, die Monti di Lego mit Kapelle, etlichen Rustici und Bergstation einer Materialseilbahn sowie das Verzasca-Tal. Unten im Tal ist der Ort Mergoscia auszumachen.

Toll ist nicht nur der Rundblick, sondern auch das Grotto auf den Monti di Lego: In der Capanna Grotto Monti di Lego könnte man auch übernachten. Werktags gibt's Minestrone und diverse kalte Teller und am Sonntag ein richtiges Sonntagsmenu. Das Angebot ist nicht gross, aber für mich als bekennenden Mösteler hat es sogar einen Mosto amaro, einen sauren Most, auf der Getränkekarte. Grossartig!



7. Über 500 Höhenmeter vernichten

Dann wartet ein happiger Abstieg auf uns: Auf einem guten, aber steilen Zickzackweg durch den Laubwald geht es über 500 Höhenmeter runter bis zu unserer Ferienwohnung. Das geht so in die Knie, dass Frau Frogg sich wünscht, einer der Helikopter, die bei schönem Wetter ständig rumsurren, würde sie abholen.


Ein Baum mit Geschwulst am Wegrand — und endlich wird zwischen dem unendlichen Blätter-Grün unser Ferienhaus sichtbar...

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*) Dieser Auszug aus dem Hochparterre-Artikel erschien im Nike-Bulletin 4/2011, das von der Nationalen Informationsstelle für Kulturgüter-Erhaltung herausgegeben wird.

Samstag, 6. Oktober 2012

Gegen den Strom pilgern

Heute sind wir mit dem Voralpenexpress nach Biberbrugg gefahren und über St. Meinrad nach Pfäffikon an den Zürichsee gewandert. Zwei Drittel unserer Wanderroute sind Teil des Jakobswegs nach Santiago de Compostela. Auf dem Wegabschnitt Rapperswil - Einsiedeln waren wir allerdings in der verkehrten Richtung unterwegs — und trafen deshalb zahlreiche Pilger und Pilgerinnen.

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Anreise mit dem Voralpenexpress oder der SOB nach Biberbrugg. Der Routenvorschlag für die 3½- bis 4-stündige Wanderung (in umgekehrter Richtung) stammt von der süddeutschen alpinen Wandergruppe: Biberbrugg - Altberg - Hinterhorben - Tüfelsbrugg - St. Meinrad - gestrichelte Variante via Etzel (1098 m.ü.M.) - Strickli - Luegeten - Pfäffikon (SZ). Der Abstieg vom Etzel ist steil — Wanderstöcke sind hilfreich. Rückreise ab Pfäffikon mit dem Voralpenexpress oder der SBB. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch

1 Biberbrugg — scheusslich, aber in einer lieblichen Landschaft



Biberbrugg ist nicht viel mehr als ein Verkehrsknotenpunkt. Hier zweigen die Bahnlinie und die Strasse nach Einsiedeln, an den Sihlsee und in das Skigebiet Hoch Ybrig ab. Die ersten 400 Meter der Wanderung sind deshalb scheusslich. Doch nach der Überquerung der Alp — so heisst der Fluss, der vom Alpthal durch Einsiedeln fliesst — gewinnt man rasch an Höhe und den Überblick über eine "liebliche" Landschaft:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Zu sehen sind links Strasse und Bahnlinie nach Einsiedeln, dahinter Chatzenstrick und Nüsellstock, etwa in Bildmitte die Einfamilienhaussiedlung Schwyzerbrugg (das vorläufige Ende der Agglomeration Zürich, vgl. Die Schweiz ist ein Gartensitzplatz im Tages-Anzeiger vom 18.7.2011), dahinter die Rothenturmer Moorlandschaft und die Rigi, rechts der Verkehrsknotenpunkt Biberbrugg mit dem Sicherheitsstützpunkt des Kantons Schwyz (grosser Gebäudekomplex), dahinter die bewaldeten Hänge der Höhronen.

2 Altbergried — eine grossartige Moorlandschaft

Ist die Krete des Altbergs erreicht, öffnet sich der Blick in die andere Richtung auf ein Hochplateau mit Moorlandschaft:


Der Etzel und das Altbergried (hinter dem Bauernhof)


Herbstzeitlosen




Das Ried mit einem Entwässerungsgraben


Herbstliche Moorlandschaft mit Birken

3 Der Pilgerweg über die Tüfelsbrugg



Vom Hochplateau des Altbergs führt der Weg hinunter ins Sihltal. Hier treffen wir eine erste Jakobspilgerin (mit Jakobsmuschel am Rucksack als Kennzeichen). Sie ist unterwegs von St. Meinrad nach Einsiedeln. Unten im Tal überquert die im 17. Jahrhundert erbaute, überdachte Tüfelsbrugg die Sihl, die am Druesberg entspringt und bis nach Zürich runterfliesst.



Ohne das Böse gibt es auch das Gute nicht: Ohne Tüfelsbrugg gelangen die Jakobspilger aus der Ostschweiz nie nach Einsiedeln und letztlich auch nicht nach Santiago...

4 Mittagessen auf St. Meinrad

Nach einem halbstündigen Aufstieg auf einer schmalen Asphaltstrasse erreichen wir das Gasthaus St. Meinrad, wo wir uns draussen an der Sonne statt des mitgeschleppten Picknicks ein Mittagsmenu (Tomatensuppe und Hirschpfeffer bzw. Kalbsbraten) sowie einen sauren Most genehmigen. Die Lederhosenkluft des österreichischen Gastroteams wirkt in den Schweizer Voralpen leicht befremdlich, aber der Service und das Essen sind ausgezeichnet.



Auf dem Etzelpass erinnert eine Tafel daran, dass hier der Eremit Meinrad ab 838 ein paar Jahre gelebt hat, bevor er tief im Wald eine Klause und eine Kapelle errichtete, woraus sich später das Kloster Einsiedeln entwickelte — die ganze Story samt Mord an Meinrad und zwei kriminalistisch-polizeilich begabten Raben ist hier nachzulesen.

Auch mir kommen Erinnerungen hoch: Vor Jahrzehnten habe ich mit meiner damaligen Freundin auf einer mehrtägigen Wanderung von Zürich durchs Sihltal und das Wägital nach Braunwald hier im Gasthaus St. Meinrad übernachtet. Damals war ich von der Aussicht vom Etzel enttäuscht. Deshalb sparen wir uns nach dem Mittagessen den Aufstieg und vor allem den stotzigen Abstieg vom Etzel und entscheiden uns für die Direttissima.

5 Die Pilz- und Pilgersaison ist eröffnet



Auch von St. Meinrad geht es recht steil runter, so dass es die entgegenkommenden Mountain Biker es vorziehen, ihr Bike den Berg raufzustossen. Der Wald ist voll von Pilzen und PilgerInnen, die von Rapperswil über den Damm nach Pfäffikon gewandert sind und nun nach St. Meinrad hochsteigen. Gemäss Wikipedia boomt die Jakobspilgerei seit Mitte der 90er Jahre in einem noch nie dagewesenem Ausmass.

6 Das isch es Luege vo de Luegeten!



"Luege" ist das schweizerdeutsche Wort für Schauen. Und tatsächlich die Aussicht vom Restaurant Luegeten ob Pfäffikon ist grossartig:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Zu sehen sind von links nach rechts: Das Restaurant Luegeten, der Zürichsee mit den Inseln Ufenau und Lützelau, der Seedamm von Pfäffikon nach Rapperswil, dahinter Bachtel und die Hügel des Zürcher Oberlands, rechts vom Damm und hinter dem weissen Merz der Obersee, dahinter der Säntis und der Speer.

7 Ein Agglo-Panorama



Pfäffikon liegt zwar im Kanton Schwyz, gehört aber längst zur Agglomeration Zürich. Grad neben der Autobahn erklärt diese Panorama-Tafel die Sehenswürdigkeiten der Gemeinde.

8 Schienentomaten



Angekommen am Bahnhof Pfäffikon, spiegelt sich das Bahnhofsgebäude in der gegenüberliegenden Fassade und Frau Frogg beschliesst, es sei noch einmal Glacéwetter und kauft sich ein Schokoladencornet.



Und zum Schluss noch die Tomaten, die unmittelbar neben den Geleisen wachsen, über die alle zehn, fünfzehn Minuten Schnellzüge Richtung Österreich oder Chur brausen. Frau Frogg meint, sie hätte irgendwo gelesen, dass die Samen dieser Schienentomaten aus den Plumpsklos der Züge stammten. Deshalb hätte sich die Tomate entlang der Gotthardlinie ausgebreitet. Si non è vero, è ben trovato!

Freitag, 5. Oktober 2012

Nebelmeer über dem Rotsee

Heute morgen war wieder einmal das Mini-Nebelmeer über dem Rotsee zu beobachten, ein lokales Wetterphänomen, das ich vor einem Jahr in meinem Beitrag Kaiserwetter und Nebelsee schon einmal beschrieben habe. Allerdings waren die Nebelschwaden, die heute über den herbstlichen Wiesen lagen, noch zauberhafter als vor einem Jahr.

Dachpanorama vom 5. Oktober 2012: Um 8 Uhr 26 liegt Nebel im Götterseetal, darüber kündigt sich Kaiserwetter an — zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Hände hoch, Feiertag!

Nichts gegen Feiertage, mit denen katholische Lande reichlicher gesegnet sind als protestantische (vgl. Tabelle auf Wikipedia) — sie bringen zusätzliche Freitage, die man gerne einzieht. Ein gutes Beispiel ist Mariä Empfängnis am 8. Dezember, im reformierten Zürich als "Mary's Shopping Day" berüchtigt, weil Heerscharen aus der Zentralschweiz einfallen, um sich mit Weihnachtsgeschenken einzudecken. Aber wenn Feiertage so überfallartig stattfinden, wie Ietzthin St. Leodegar in Luzern, hätte man lieber keinen Feiertag.

Am 2. Oktober wird in Luzern der Kirchenpatron der Hofkirche gefeiert. Sankt Leodegar, ein renitenter Heiliger, der trotz Blendung und herausgerissener Zunge weiter predigte, wurde letztlich nicht wegen seines Glaubens, sondern wegen seiner weltlichen Ränke zum Märtyrer. Zu Ehren dieses eher mittelmässigen Heiligen also bleiben am 2. Oktober in der Stadt Luzern die Geschäfte geschlossen. Damit nicht genug: Am Vortag von Feiertagen schliessen die Läden wie an einem Samstag schon um 16 Uhr. Da heuer der Leodegar auf einen Dienstag fiel, hatten wir am Montag ladenöffnungsmässig schon wieder Samstag — eine Falle für einen wie mich, der mit St. Leodegar nichts am Hut hat, deshalb jedes Jahr von diesem lokalen Feiertag überfallen wird und überrascht vor geschlossenen Ladentüren steht.



Dieses Jahr war mir Leodegar sogar rechtzeitig ins Bewusstsein vorgedrungen, aber als ich am Montagabend noch Ersatz für diese Spezialbirne beschaffen wollte, hatte ich nicht mit einem Samstag an einem Montag gerechnet und mein favorisiertes Elektrofachgeschäft Maréchaux war wegen Leodegar schon zu. Aber — oh, Wunder — die Geschäftsführerin, die im hell erleuchteten Laden noch Bürokram erledigte, schloss extra nochmals auf und verkaufte mir die gewünschte Spezialbirne. Das nenne ich Service! Und: Unsere Esstischlampe "Titania" erstrahlt trotz Leodegar in neuem Licht:



Übrigens: Auch die Luftwaffe im benachbarten Emmen foutierte sich um den Luzerner Stadtheiligen und störte die Feiertagsruhe mit Übungsflügen von Kampfjets. Sankt Leodegar kann als Feiertag also getrost abgeschafft werden.
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