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Montag, 15. Juli 2013

Schweiz — Sächsische Schweiz

Vergleichen ist oft problematisch. Wenn aber ein Schweizer Paar in der Sächsischen Schweiz Ferien macht, dann ist das fast schon ein Must. Und wer hat's erfunden? Zwei Schweizer Maler, die 1766 an die Dresdner Kunstakademie berufen worden waren und wohl ein bisschen Heimweh hatten. Die Sächsische Schweiz ist übrigens nur eine von vielen Schweizen — allein in Deutschland gibt es die Raumbezeichnung Schweiz 67 mal.

Die Bezeichnung Schweiz ist ein sehr erfolgreiches Exportprodukt, wie die Marketingorganisation Schweiz Tourismus ermittelt hat: Weltweit gibt es mindestens 191 Schweizen ausserhalb der Schweiz — siehe Liste auf Wikipedia. In der Romantik wurde es Mode, jede auch nur ein bisschen hügelige Landschaft mit touristischem Potenzial mit dem Prädikat "Schweiz" zu überhöhen. Schon damals spottete Theodor Fontane über die inflationäre Verschweizerung der deutschen Landschaften: "Die Schweize werden jetzt immer kleiner, und so gibt es nicht bloß mehr eine Märkische, sondern bereits auch eine Ruppiner Schweiz" (vgl. Wikipedia zur Landschaftsbezeichnung Schweiz). Also bei uns hat dieser alte Verkaufstrick voll funktioniert: Nach der Sächsischen haben wir auch noch die Böhmische Schweiz besucht...

Die beiden Maler aus der Schweiz, Adrian Zingg und Anton Graff, waren also voll im Trend ihrer Zeit, als sie dem sächsischen Teil des Elbsandsteingebirges das Prädikat Schweiz verpassten, weil sie sich an den heimatlichen Jura erinnert fühlten. Während die Sächsische Schweiz mit den Alpen wenig gemein hat, ausser dass es da auch Felsen gibt, ist der Vergleich mit dem Tafeljura einigermassen nachvollziehbar:



Oben: Schweizer Tafeljura bei Anwil BL (Bild: Beat Schaffner)
Unten: Landschaft in der Sächsischen Schweiz bei Altendorf

Mit ihren Bildern halfen die beiden Schweizer Künstler aber auch mit, die Sächsische Schweiz zu promoten, denn wer Zinggs Bild der Felsformation Kuhstall gesehen hat, muss einfach das Original besuchen! Heute noch vermarktet der Tourismusverband Sächsische Schweiz den Malerweg, eine achttägige Wanderung, mit den Bildern bekannter Maler, die die Sächsische Schweiz gemalt haben:


Oben: Adrian Zingg, Der Kuhstall, 1786 (Bildquelle: commons.wikimedia.org)
Unten: Kulturflaneur, Der Kuhstall, 2013

Die Fremden wurden im 19. Jahrhundert buchstäblich auf Händen getragen: Wer nicht selber zum Kuhstall hochwandern wollte (weniger als eine Stunde), konnte sich vom Pferd oder von Trägern hochtragen lassen. Und auch in Sachsen keine Schweiz ohne richtigen Wasserfall: Für die TouristInnen wurde der Lichtenhainer Wasserfall erhöht und durch ein aufziehbares Stauwehr mit schwallartigem Abfluss zur Touristenattraktion aufgemotzt:


Das historische Schild aus den Anfängen des Fremdenverkehrs in der Sächsischen Schweiz mit den Taxen für Pferde und Sesselträger und der Lichtenhainer Wasserfall mit Schwallfunktion

Wenn ich aber Schweiz und Sächsische Schweiz vergleichen müsste, dann würde ich vor allem die grösseren Höhenunterschiede erwähnen: In der Sächsischen Schweiz hatten wir nach keiner der sechs oder sieben Wanderungen Muskelkater, nach der ersten kleineren Wanderung zurück in der Schweiz aber schon — auch bei einer kleinen Tour sind die Höhendifferenzen in der richtigen Schweiz schnell einmal doppelt oder dreimal so gross. Das gilt auch für freistehende Aufzüge:


Der 1904 erbaute Personenaufzug in Bad Schandau zum Ortsteil Ostrau (rund 52 m hoch) und sein grosser Bruder in der Schweiz, der 1903 bis 1905 erbaute Hammetschwandlift am Bürgenstock (153 m hoch) (Bildquelle: www.swissfot.ch)

Neben all den Unterschieden haben die beiden Schweizen vor allem eine Gemeinsamkeit: Sowohl in der Schweiz als auch in der Sächsischen Schweiz kann man wunderbar wandern.


Nachtrag am 1. August 2013
Zum heutigen Nationalfeiertag hat die NZZ eine interaktive Karte mit den Schweizen in aller Welt ins Netz gestellt — anscheinend hatten wir die Nase voll im Wind:


Um auf die interaktive Karte der NZZ zu gelangen auf obigen Screenshot klicken! Danke für den Hinweis, lieber Trox.

Freitag, 12. Juli 2013

Ich wäre ein Neustädter

Würde ich in Dresden leben, wäre ich ein Neustädter. Denn: In der Dresdner Neustadt gibt's alles, was es für ein cooles Quartier und ein urbanes Leben braucht: Coole Beizen, coole Läden, coole Kulturangebote und ein lebendiges Quartierleben:















Oberstes Bild: FotoFrogg

Allerdings: Sobald ein Stadtviertel so trendy wird wie Dresden-Neustadt, steigt der ökonomische Druck auf die günstigen Ladenlokale und Wohnungen. Kreative Nischen werden von lukrativeren Nutzungen verdrängt — und diejenigen, die viel zur Attraktivierung des Quartiers beigetragen haben, können es sich nicht mehr leisten, da zu leben. Noch gibt es nicht viele luxussanierte Häuser in der Neustadt, aber ich bin mir sicher: Die Gentrification hat bereits begonnen.

Vom 22. bis 24. Juni 1990 wurde die Bunte Republik Neustadt ausgerufen und mit einem grossen Stadtteilfest gefeiert. Seither feiert sich die Neustadt jeden Juni von Neuem — wenige Male von Ausschreitungen überschattet, meist aber friedlich. Die Bunte Republik Neustadt lockt jeweils über 100'000 BesucherInnen an. In den mehr als 20 Jahren hat sich die BRN allmählich entpolitisiert, dafür ist das Neustädter Stadtteilfest wahrscheinlich das einzige, das ein eigenes Museum hat: Es lebe die Bunte Republik Neustadt!

Mittwoch, 10. Juli 2013

Mehr als ein blaues Wunder

Am zweiten Tag in Dresden machen wir uns auf zu Dresdens Blauem Wunder. Unterwegs erleben wir aber mehr als ein blaues Wunder — ein erlebnisreicher Tag an der Elbe als Bildergeschichte.

Unser erstes blaues Wunder, das wir erleben, ist mehr grau als blau: Als wir von der Neustadt ans Elbufer vorstossen, sind im Dresdner Rosengarten die Rosen noch ganz verschlammt — was nicht anders zu erwarten war — und auch sonst sieht es wüst aus, so dass wir gar nicht sicher sind, ob wir auf dem Elbuferweg zum Blauen Wunder gehen können. Und: Es riecht nach Hochwasser.



Es zeigt sich dann aber bald, dass der Elbuferweg wieder begehbar ist.

Das nächste blaue Wunder erlebten nicht wir, sondern die DresdnerInnen, die 2005 in einem Bürgerentscheid mit einer 2/3-Mehrheit den Bau der Waldschlösschenbrücke befürworteten, aber nicht damit rechneten, dass die UNESCO 2009 der Kulturlandschaft Dresdner Elbtal wegen der neuen Brücke den Welterbetitel aberkennen würde, ein bis dato europaweit einmaliger Vorgang. Jetzt ist der "Sündenfall" fertiggestellt und wird Ende August dem Verkehr übergeben — damit wird unter den episch und leidenschaftlich geführten Dresdner Brückenstreit ein vorläufiger Schlussstrich gezogen.



Das ehemalige Weltkulturerbe, die Elbwiesen mit der Dresdner Skyline, und der "Sündenfall", die Waldschlösschenbrücke.

Unser zweites blaues Wunder erleben wir an der Stelle, wo der Elbuferweg aus den Elbauen in den Prallhang unter dem Albrechtsberg übergeht. Der Weg ist nicht mehr passierbar und über etwa 15 Meter mit knöcheltiefem Schlamm bedeckt. Es hilft nichts: Durch diesen Dreck müssen wir durch.

Nach einer ausführlichen Schuhreinigung gehen wir zur Strasse hoch, die von Dresden nach Loschwitz führt. Als wir an der recht stark befahrenen Strasse für eine Station den Bus nehmen wollen, erleben wir unser drittes blaues Wunder: Der Busfahrer weigert sich, uns für die kurze Distanz von etwas mehr als 600 Metern Fahrscheine zu verkaufen.

Unser viertes blaues Wunder ist tatsächlich blau — oder zumindest die Stützen der Schwebebahn Dresden sind es. Obwohl die Bahn von Loschwitz nach Oberloschwitz nur 84 Höhenmeter überwindet, ist es eine Bergbahn — das hätten wir SchweizerInnen im ostdeutschen "Flachland" nicht erwartet. Die 1901 eröffnete Bahn ist übrigens ein technisches Unikum: Sie gilt als weltweit einzige Hängebahn, die keine Adhäsionsbahn ist.



Oben: aus der Kabine der "hängenden Standseilbahn"
Unten: der Blick vom vierten aufs das Blaue Wunder


Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Das Panorama von der Bergstation zeigt einen tollen Blick auf das Elbtal — in der Mitte das Blaue Wunder von Dresden.

Die 1893 fertiggestellte Loschwitzer Brücke, die Blasewitz mit Loschwitz verbindet, wurde vom Volksmund in Blaues Wunder umbenannt. Wunder, weil die metallene Auslegerbrücke eine grosse Spannweite ohne Pfeiler im Fluss überwindet, blau wegen der Farbe des Anstrichs. Das Blaue Wunder wird nicht mehr ewig halten — die DrednerInnen müssen sich schon bald etwas einfallen lassen, wenn sie ihr Blaues Wunder auch noch weiter erleben wollen.


Der Brückenkopf in Loschwitz und das Blaue Wunder

Übrigens: "Hellblaues Wunder" fände ich passender.

Dienstag, 9. Juli 2013

Dresdner Stadtbummel, Teil II

Nach Teil I und einem Getränkehalt in einem Biergarten hinter der Frauenkirche geht unser Dresdner Stadtbummel weiter, vorbei an einem gigantischen Wandbild aus Porzellan zum Dresdner Schloss. Wir gehen um den Zwinger und werfen einen Blick ins Nymphenbad, passieren die Semperoper und checken nochmals den Pegelstand.

Vorab noch dies: Frau Frogg hat in Dresden für Kurzentschlossene zwei Rundgänge getestet, die versprechen, die Essenz von Dresden zu vermitteln. Testsieger ist dieser Rundgang mit Christine von Brühl:

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Von der Neustadt über die Augustusbrücke (1) und die Brühlsche Terrasse (2) zur Kunstakademie (3). Zwischen Kunstakademie und Albertinum die Treppe hinunter, vorbei am Coselpalais zur Frauenkirche (4). Nach einem Getränkehalt am Neumarkt (5) dem Fürstenzug (6) entlang, links durchs Georgentor, vorbei an Schloss und Taschenbergpalais zum Zwinger (7) und zum Nymphenbad (8). Weiter durch den Zwinger zum Theaterplatz, vorbei an der Semperoper (9) und der Hofkirche zurück zur Augustusbrücke (10). Die roten Zahlen beziehen sich auf die Zwischentitel im Beitrag.
Quelle des Satellitenbilds: Google Maps


6. Das grosse Fürstenpanorama



Frau Frogg ist mir sicher dankbar, dass ich darauf verzichtet habe, den ganzen Fürstenzug abzulichten und zu einem Panorama zusammenzusetzen. Immerhin: Das Wandbild ist 102 Meter lang, besteht aus rund 23'000 Fliesen und zeigt 35 Herrscher aus dem Hause Wettin — eine gigantische Ahnengalerie über fast 800 Jahre. Wer jetzt doch ein grosses Fürstenpanorama vermisst, hat in Googles Bilderbuch die Qual der Wahl.

Nachdem wir einen Blick auf und ins Dresdner Schloss geworfen haben, passieren wir das Taschenbergpalais und steigen die Treppe hoch, die auf die Flügelbauten führt, die den Zwinger umgeben.


7. Ein Königreich für Flaneure

Beim Wort Zwinger kommt mir alles Mögliche in den Sinn: Hundezwinger mit kläffenden Kampfhunden oder mittelalterliche Maueranlagen, wo Eindringlinge mit siedend heissem Pech überschüttet werden — keinesfalls aber eine grosszügige Gartenanlage, die zum Lustwandeln einlädt. Genau das war aber der Zweck des Zwingers in Dresden. Hier verlustierte sich der Hofstaat der sächsischen Kurfürsten und Könige. Geplant war der Zwinger als "Vorgarten" für ein neues Schloss, dass allerdings nie realisiert wurde. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Anlage mit der Sempergalerie gegen die Elbe hin abgeschlossen. Und heute ist sie ein Königreich für Flaneure:






Untere drei Bilder: FroggFoto.


8. Zu viel und zu wenig Wasser



Das Nymphenbad hat es mir angetan: eine prachtvolle und spektakuläre Brunnenanlage mit vielen anmutigen Nymphenfiguren. Zu einem Zeitpunkt, als Dresden wahrlich nicht an Wassermangel litt, waren die Wasserspiele leider abgestellt und die Anlage vermittelte einen eher tristen Eindruck. Deshalb hier ein Bild aus besseren Zeiten mit mehr Wasser:


Bildquelle: commons.wikimedia.org


9. Die Semperconnection

Was verbindet die Städte Dresden, Zürich und Wien?

Die Semperoper, erbaut 1871 - 1878

Sie waren der Reihe nach Wirkungsstätten des deutschen Stararchitekten Gottfried Semper (1803-1878). In Dresden realisierte er u.a. das alte und das neue Hoftheater (die heutige Semperoper), die Synagoge und die Sempergalerie, in Zürich das Polytechnikum (die heutige ETH) und die Eidgenössische Sternwarte und in Wien das Burgtheater (Grundriss) und das Kaiserforum mit diversen repräsentativen Bauten.


10. Hochwasser in Dresden

Über den Theaterplatz und an der Hofkirche vorbei gelangen wir wieder an den Ausgangspunkt unseres Dresdner Stadtbummels: die Augustusbrücke.

Wir werfen ein sorgenvollen Blick auf den Theaterkahn und das Hochwasser, ...


Unteres Bild: FroggFoto

... blicken zurück auf die in goldenes Licht getauchte Brühlsche Terrasse mit Zitronenpresse und ...



... überqueren zufrieden die Elbe.

Montag, 8. Juli 2013

Dresdner Stadtbummel, Teil I

Für diesen Stadtbummel gibt es eine Gebrauchsanleitung. Sie stammt von Christine von Brühl, die in den 1990er Jahren in Dresden gelebt hat und die Stadt und ihr Umland wie ihre Hosentasche kennt. Ihr Buch Gebrauchsanweisung für Dresden kann ich allen Besuchern und -besucherinnen von Dresden nur empfehlen — es hat mich neugierig auf diese Stadt gemacht.

Statt einer Einleitung erklärt sie den LeserInnen, was die Brühls mit Dresden zu tun haben: Die Autorin ist die Ur-ur-ur-ur-ur-Enkelin von Heinrich Graf von Brühl (1700-1763), der als Page an den Hof von August dem Starken gelangte, eine steile Karriere machte und schliesslich als Premierminister Augusts des Dritten zum einflussreichsten Mann am sächsischen Hof wurde. Sein wohl bekanntestes Vermächtnis im Stadtbild von Dresden ist die Brühlsche Terrasse. "Machen Sie einen Rundgang im Herzen der Stadt — oder nehmen Sie wenigstens ein Sonnenbad auf der Brühlschen Terrasse" heisst das erste Kapitel der Gebrauchsanleitung für Dresden — dieser Aufforderung sind wir nachgekommen. Hier die Bildergeschichte zum Stadtbummel durch Dresden:



Als Frau Punctum uns verdankenswerterweise von Meissen nach Dresden führte, war das Gebäude auf dem Bild rechts das erste Gebäude, das uns wirklich ansprang: Eine Moschee in Dresden! 1909, als Dresden noch Zentrum der Zigarettenproduktion und des Rohtabakhandels in Deutschland war, wurde die Yenidze als Zigarettenfabrik gebaut. Heute, schreibt Christine von Brühl, werden unter ihrer bunt schimmernden Kuppel Märchen aus Tausendundeiner Nacht vorgelesen.

Von Brühls Rundgang beginnt auf der Neustädter Seite der Elbe, auf den Spuren Emil Tischbein, der vor seiner abenteuerlichen Reise nach Berlin — nachzulesen in Erich Kästners Emil und die Detektive — im Blumenladen Stammnitz an der Louisenstrasse 21 Blumen für seine Tante kauft. Da trifft es sich gut, dass wir uns im Hostel Louise 20 auf der gegenüberliegenden Strassenseite einquartiert haben. Nach dem Mittagessen in der Planwirtschaft (vgl. Beitrag von Frau Frogg) machen wir uns auf die Socken und folgen den Spuren von Erich Kästner in der Dresdner Neustadt: Beim Erich-Kästner-Museum am Albertplatz sitzt eine Bronzefigur auf der Gartenmauer, darunter ein Zitat von Erich Kästner: "Am liebsten hockte ich dann auf der Gartenmauer und schaute dem Leben und Treiben auf dem Albertplatz zu."

Wie Christine von Brühl nähern wir uns Dresden von Neustädter Seite her, überqueren die Elbe auf der Augustusbrücke und machen dann auf der Altstädter Seite folgenden Rundgang:

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Von der Neustadt über die Augustusbrücke (1) und die Brühlsche Terrasse (2) zur Kunstakademie (3). Zwischen Kunstakademie und Albertinum die Treppe hinunter, vorbei am Coselpalais zur Frauenkirche (4). Nach einem Getränkehalt am Neumarkt (5) dem Fürstenzug (6) entlang, links durchs Georgentor, vorbei an Schloss und Taschenbergpalais zum Zwinger (7) und zum Nymphenbad (8). Weiter durch den Zwinger zum Theaterplatz, vorbei an der Semperoper (9) und der Hofkirche zurück zur Augustusbrücke (10). Die roten Zahlen beziehen sich auf die Zwischentitel im Beitrag.
Quelle des Satellitenbilds: Google Maps

1. Die Brücke mit dem Canaletto-Blick

Auf der Augustusbrücke sieht man Dresden mit dem Canaletto-Blick, will heissen: Mehr oder weniger so wie der venezianische Maler Bernardo Bellotto die Stadt um 1750 herum gesehen hat.


Das 1751/53 entstandene Bild von Canaletto zeigt Dresden mit Augustusbrücke. Quelle: www.zeno.org

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Mein 360°-Panorama von der Augustusbrücke zeigt von rechts nach links: die Carolabrücke über die Hochwasser führende Elbe, die Brühlsche Terrasse mit Kunstakademie, Sekundogenitur und Ständehaus, davor die Flotte der Sächsischen Dampfschifffahrt, dahinter die Kuppel der Frauenkirche, hinter der Augustusbrücke dann Schloss, Hofkirche und Semperoper, ferner Landtag, Erlweinspeicher und die orientalische Kuppel der Yenidze. Die nächste Brücke flussabwärts ist die Marienbrücke. Auf dem Neustädter Ufer schliesslich folgen das Hotel Westin Bellevue Dresden, der Neustädter Markt und der Turm der Dreikönigskirche. Davor glänzt am Ende der Brücke die goldene Reiterstatue von August dem Starken.


Der Canaletto-Blick auf die Brühlsche Terrasse mit Kunstakademie, Frauenkirche und Sekundogenitur

2. Für Flaneure: Die Brühlsche Terrasse

Die Brühlsche Terrasse, die auch schon als Balkon Europas bezeichnet wurde, ist auf der ehemaligen Stadtbefestigung entstanden. Hoch über der Elbe gelegen, lädt der 500 Meter lange Park zum Flanieren ein — vor allem dann, wenn das Terrassenufer noch unter Wasser steht.


Blick von der Brühlschen Terrasse auf eine Sandsackburg, die vom Kampf gegen die Hochwassermassen zeugt, und...


...auf die stillgelegte Flotte der Sächsischen Dampfschifffahrt.

3. Die Zitronenpresse der Kunstakademie


Die Glaskuppel der Kunstakademie. Die Figur auf ihrer Spitze ist die Fama, die in der römischen Mythologie interessanterweise sowohl die Gottheit des Ruhmes als auch des Gerüchts ist — offenbar wussten schon die alten Römer, dass Ruhm nur ein Gerücht oder zumindest eng mit Gerüchten verknüpft ist.

Für einmal hatte es der Volksmund nicht schwer, der Dresdner "Hall of Fame" einen prägnanten Übernamen zu verpassen — oder was würde besser passen als "Zitronenpresse"? Die Kunstakademie wurde bei der Bombardierung Dresdens am 14./15. Februar 1945 weitgehend zerstört, eigenartigerweise aber blieb die Zitronenpresse stehen.

4. Das Panorama von der Frauenkirchenkuppel

Die Bombennacht im Februar 1945, in der Zehntausende getötet wurden und der Feuersturm Dresdens Innenstadt in ein Inferno verwandelte, war ein Schock, den Dresden jahrzehntelang nicht überwinden konnte. Fürs Stadtbild am schlimmsten war die Zerstörung der Frauenkirche — ihre Ruine war während der DDR-Zeit ein Mahnmal gegen den Krieg, aber auch eine offene Wunde im Stadtbild. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die DresdnerInnen alles daran setzten, diesen markanten Bau zu rekonstruieren. 180 Millionen Euro kostete der Wiederaufbau, der 2005 abgeschlossen wurde. Von Brühl schreibt, dass in den ersten zweieinhalb Jahren der rekonstruierte Monumentalbau von fünf Millionen Menschen besucht wurde — die Frauenkirche wurde zum Symbol der Hoffnung und der Versöhnung.

Für BesucherInnen ist die Kuppel aber auch ein grossartiger Aussichtspunkt:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Der Rundumblick beginnt im Osten: Rechts der Hügel an der Elbe sieht man bis in die sächsische Schweiz, im Mittelgund: der Grosse Stadtgarten mit dem Stadion von Dynamo Dresden. Im Süden: Rathaus, Kreuzkirche, Alt- und Neumarkt. Im Westen: Dresdner Schloss, Hofkirche, Semperoper etc. sowie das Elbtal Richtung Meissen. Im Norden schliesslich: die Brühlsche Terrasse, die Hochwasser-Elbe und die Dresdner Neustadt.

Die grösste Kuppel auf der Alpennordseite war und ist wieder ein imposantes Bauwerk:



Die Kuppel der Frauenkirche

5. Auch in Dresden gibt's Schanigärten



Was in Wien Schanigarten heisst und Gartenbeiz in der Deutschschweiz, gibt's zum Glück auch in Dresden — nach dem Aufstieg auf die Kuppel der Frauenkirche hatten wir uns den Getränkehalt im Biergarten redlich verdient.

Fortsetzung folgt...

Samstag, 6. Juli 2013

Schnellkutschenverbindung

In diesem Eintrag, den Frau Frogg in ihrem Bericht über ein wunderbares Gastmahl bei Familie Punctum bereits angekündigt hat, geht es um Meissner Eisenbahnfeindlichkeit, das Delirium furiosum und die Schnellkutschenverbindung als famose Problemlösung.

Die Vorgeschichte: Am ersten Tag unseres Besuchs bei Frau Punctum haben wir einen Ausflug nach Meissen gemacht. Als bekennende NichtautofahrerInnen sind wir auf den öffentlichen Verkehr angewiesen — in den Ferien sind wir also sozusagen als öV-Tester unterwegs und haben so schon manche Abenteuer erlebt.

Bild: FroggFoto

Da wir die Bushaltestelle nicht auf Anhieb gefunden haben, gingen wir auf den nahen Bahnhof, der zwar noch keine Ruine war, aber angesichts uralter Bahntechnologie und fortschreitenden Zerfalls nicht gerade vertrauenserweckend wirkte. Vergeblich suchten wir einen Billetautomaten, um Fahrscheine nach Meissen zu lösen. Fragen konnten wir niemanden, weil wir weit und breit die einzigen waren. Einzig die Laufschriftanzeige liess uns hoffen, dass der Zug der DB, der im Zweistundentakt verkehrt, tatsächlich kommen würde. Um so überraschter waren wir, als eine topmoderne Dieselkomposition pünktlich auf dem grasüberwachsenen Gleis 1 einfuhr, dann in zügigem Tempo das Triebischtal runterkurvte und uns in wenigen Minuten nach Meissen-Triebischtal brachte, wo die Bahnlinie zur Zeit auf einer Baustelle endet, weil die Brücke über die Elbe erneuert wird. Die Fahrscheine konnten wir — anders als bei uns in der Schweiz — am Automaten im Zug lösen.

Unser Zug in Meissen-Triebischtal — über Nebenstrecken tuckert er in zwei Stunden via Nossen und Döbeln nach Leipzig.

Irgendwo hatte ich gelesen, dass die Bahnlinie von Dresden nach Leipzig, die 1839 eröffnet wurde, die erste deutsche Ferneisenbahn sei, und ich konnte mir nach unserem Eisenbahnabenteuer vom Vortag gut vorstellen, dass diese Strecke durchs Triebischtal führte. Nein, nein, versicherte mir die fröhliche Runde an der Grillparty im Garten von Familie Punctum, die älteste Fernbahnstrecke Deutschlands hätte von Dresden über Coswig und Riesa nach Leipzig geführt.


Zum Vergrössern auf die Grafik klicken! Bildquelle: upload.wikimedia.org

Und die Geschichtslehrerin in der Runde fügte noch an, dass die konservativen Meissner sich erfolgreich gegen die technische Neuerung gewehrt und dafür gesorgt hätten, dass Meissens Bahnhof ins benachbarte Coswig komme. Ich glaube, die Meissner hatten einfach Angst vor dem Delirium furiosum, vor dem ein um 1835 erstelltes Gutachten des "Königlich Bayrischen Medizinalkollegiums" über die Gesundheitsrisiken des neuen Transportsystems eindringlich warnte:
"Ortsveränderungen mittels irgend einer Art von Dampfmaschine sollten im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein. Die raschen Bewegungen können nicht verfehlen, bei den Passagieren die geistige Unruhe, 'delirium furiosum' genannt, hervorzurufen. Selbst zugegeben, daß Reisende sich freiwillig der Gefahr aussetzen, muß der Staat wenigstens die Zuschauer beschützen, denn der Anblick einer Lokomotive, die in voller Schnelligkeit dahinrast, genügt, um diese schreckliche Krankheit zu erzeugen. Es ist daher unumgänglich nötig, daß eine Schranke, wenigstens sechs Fuß hoch, auf beiden Seiten der Bahn errichtet werde." (vgl. Ein früher Fall von Technology Assessment oder die verlorene Expertise)
Ob die Bahnlinie tatsächlich wegen Meissens Eisenbahnfeindlichkeit oder wegen der höheren Kosten um Meissen herumgebaut wurde, bleibe dahingestellt. (Gemäss Wikipedia hätte die Strecke über Meissen 1'956'000 Thaler gekostet, während für die nördlichere Variante nur 1'808'500 Thaler veranschlagt wurden.) Auf jeden Fall sei für diejenigen Meissner, die auf das neue, aber gefährliche Verkehrsmittel nicht verzichten wollten, eine Schnellkutschenverbindung zum Bahnhof in Coswig eingerichtet worden — ein Ausdruck, der angesichts der massiven Verkehrsprobleme, mit denen Meissen wegen des Hochwassers zu kämpfen hatte, an unserer Grillparty ein heiteres Gelächter auslöste.

Provisorisches Stations-Restaurant bei Althen mit abfahrendem "Dampfwagen" (Lokomotive BLITZ) in Richtung Leipzig, ca. 1837. Bildquelle: commons.wikimedia.org

Sonntag, 30. Juni 2013

Ostalgische Ampelmänner und -frauen

Nachdem ich Frau Frogg in einem Kommentar zu ihrem Text über das Gastmahl des Meeres der Ostalgie bezichtigt habe, bin ich selber der Ostalgie verfallen und habe das Internet nach ostalgischen Produkten durchforstet. Gefunden habe ich eine ganze Ampelmännchen-Industrie.


Bildquelle und Bericht über die Ampelmännchen-Studie: www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/317310.html

In den Ferien haben wir in der sächsischen Zeitung einen Bericht gelesen über eine neue Studie, die nachweist, dass DDR-Ampelmänner und -frauen besser erkennbar und lesbar sind als ihre westlichen Pendants — und erst noch vor allem bei Kindern schneller zur richtigen Reaktion führen: Rüber gehen oder stehen bleiben.

Bei der Internetsuche nach Ostalgie-Produkten hatte ich den grossen Ampelmännchen-Testbericht im Hinterkopf. Deshalb haben mich auf www.racheshop.de und auf www.ostprodukte-versand.de diese Fruchtgummis angesprungen — allerdings bin mir inzwischen gar nicht mehr sicher, dass die Fruchtgummi-Ampelmännchen tatsächlich ein Original-DDR-Lebensmittel sind.

Original ist hingegen das Design des Ost-Ampelmännchens, das 1961 vom Verkehrspsychologen Karl Peglau (1927 - 2009) entwickelt wurde. Nach der deutschen Wiedervereinigung war das Ampelmännchen akut bedroht — die Aktion "Rettet das Ampelmännchen!" wehrte sich sein Verschwinden. 1997 war dann klar: Die beliebten Ost-Ampelmännchen waren gerettet und durften ihren Platz im Strassenbild behalten. Sie wurden zum Symbol der Ostalgie schlechthin. Der Berliner Industriedesigner Markus Heckhausen machte den Ost-Ampelmann und die Ost-Ampelfrau zu Kultfiguren und vermarktet sie seit 1996 in allen Formen und Farben: als Flaschenöffner, Fruchtgummis, Magnete, Korkenzieher, Schlüsselanhänger, T-Shirts etc. etc., siehe ampelmannshop.com — der Ampelmann ist inzwischen auch eine Marke.


Bildquelle: convention.visitberlin.de

Samstag, 29. Juni 2013

Leben mit dem Hochwasser

In meinem letzten Eintrag vor unseren Ferien Gummistiefel oder Badehosen? war ich noch optimistisch und hoffte, dass die Fluten abgeflossen seien bis wir in die sächsische Schweiz kämen. Waren sie aber noch nicht ganz — die Pegel waren zwar am Sinken und die Wassermassen hatten sich elbabwärts verlagert, dennoch hätten wir ein-, zweimal Gummistiefel gut gebrauchen können. Das grosse Aufräumen hatte erst begonnen.

Nachdem uns unsere GastgeberInnen klar gemacht hatten, dass nur flussnahe Zonen betroffen waren, in vielen Teilen von Dresden und der sächsischen Schweiz aber nur wenig oder gar keine Auswirkungen des Jahrhunderthochwassers zu spüren seien, haben wir uns entschlossen, unsere Ferienreise trotzdem anzutreten. Wir wollten weder Katastrophentouristen sein, noch Feriengäste, die wegen kleineren Schwierigkeiten gleich ihre Ferien stornieren. Allerdings waren die hochwasserbedingten Schwierigkeiten hin und wieder doch grösser, als wir uns das vorgestellt hatten. Wir hatten uns auf einiges gefasst gemacht, dennoch war der Anblick der von braunen Fluten angerichteten Schäden bisweilen erschütternd.

Die Hochwassermarken am Rathaus der Stadt Wehlen zeigen, dass es verheerende Hochwasser an der Elbe immer wieder gab. Allerdings muss die Häufung zu denken geben — allein in diesem Jahrhundert sind es schon drei Markierungen: 2002, 2006 und 2013 (fehlt noch, kommt aber möglicherweise dahin, wo das geschosshohe Holzbrett die Farbe wechselt).

Für die direkt Betroffenen ist Hochwasser immer eine kleine oder grössere Katastrophe, mein Eintrag Hochwasserpanoramen zeigt aber, dass Hochwasser im Hochsommer den indirekt Betroffenen auch Spass machen kann, vorausgesetzt, das Wasser stammt aus einem See und ist deshalb klar. Wenn sich aber eine braune Brühe durchs Tal wälzt, die eine stinkende Schlammschicht zurücklässt, die beim Trocknen betonhart wird und nur noch mühsam mit dem Hochdruckreiniger zu entfernen ist, dann ist das überhaupt nicht mehr lustig. Und wenn es in elf Jahren zum dritten Mal passiert, ist es auch verständlich, wenn Leute aufgeben und wegziehen.

Wir bewunderten deshalb die Tapferkeit vieler Betroffener, die mit dem stoischem Gleichmut ihr zerstörtes Mobiliar auf die Strasse tragen, die Keller leerpumpen, den Dreck wegspritzen und mit der Hilfe von Freunden einen Neustart wagen — mit dem Ziel, möglichst rasch zur Normalität zurückzukehren. Improvisieren ist angesagt: Im Journalcafé in der Meissner Altstadt beispielsweise wurde das Bad von Zimmer 10 des zugehörigen Hotels kurzerhand zur Toilette umfunktioniert, weil die Gäste-WCs im Untergeschoss noch nicht benutzbar waren.

An vielen Orten hat man aus den Erfahrungen vergangener Hochwasser gelernt und konnte mit Sandsäcken und vorbereiteten Spundwänden verhindern, dass das Wasser eindringt. Nach dem letzten Hochwasser haben Besitzer von flutgefährdeten Lokalen im Erdgeschoss ihre Lokale mit geeigneten Materialien hochwassertauglich gemacht, so dass sie diesmal nur den Dreck rausspritzen und wieder einrichten mussten. Da im Gegensatz zum Jahrhunderthochwasser von 2002 das Wasser der Elbe diesmal langsamer stieg, waren die Leute gewarnt und konnten ihre Erdgeschosse rechtzeitig räumen. Dennoch sind die Schäden immens und gehen in die Milliarden.

Grossartig war auch die Solidarität und Hilfsbereitschaft vieler Leute angesichts der Flutkatastrophe. Doch kaum war das Hochwasser abgeflossen, begannen die Diskussionen: Wer bezahlt die Schäden? Wie sollen die Hochwassergelder verteilt werden? Wer ist schuld, dass geplante Massnahmen, wie die Erhöhung von Dämmen nicht rechtzeitig umgesetzt werden konnten? Interessant fand ich auch einen Artikel in der Sächsischen Zeitung, der aufzeigte, dass von rund fünfzig geplanten Hochwasserschutzmassnahmen vor allem technische Massnahmen wie Dämme und Deiche realisiert wurden, während Massnahmen zum Rückhalt und Verteilung von Wassermassen, wie die Renaturierung von Auenlandschaften und die Einrichtung von Hochwasserpoldern auf die lange Bank geschoben wurden. Es ist den Sachsen zu wünschen, dass sie noch besser lernen, mit wiederkehrenden katastrophalen Hochwasserereignissen umzugehen.

Übrigens: Obwohl es zwei Wochen lang praktisch nicht regnete und das Thermometer zwei-, dreimal auf über 30 Grad kletterte, habe ich die Badehosen nie gebraucht...
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