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Dienstag, 26. November 2013

Wo wohnen die Sozialisten?

Letzten Sonntag haben die Schweizer StimmbürgerInnen wieder einmal alles abserviert, was ihnen aufgetischt wurde: Mit 65.3% NEIN wurde die 1:12-Initiative für gerechte Löhne wuchtig verworfen, mit 60.5% NEIN die Preiserhöhung der Autobahnvignette von 40 auf 100 Franken bachab geschickt und mit 58.5% NEIN auch die Familieninitiative deutlich abgelehnt. Die Schweiz — ein einig Volk von NEIN-SagerInnen? Das könnte man vermuten angesichts der rot eingefärbten Karten mit den Abstimmungsresultaten, die in den meisten Medien präsentiert wurden. Doch bei allen Vorlagen gab es auch Gebiete, die gegen den Trend JA gestimmt haben.

Wo leben also diese "Utopisten", die am letzten Sonntag fanden, es genüge vollauf, wenn der Chef oder die Chefin eines Unternehmens maximal 12 mal soviel verdiene, wie der oder die schlechtest bezahlte ArbeitnehmerIn?










Die interaktive Karte mit den Abstimmungsresultaten nach Bezirken*) bringt es an den Tag: Die letzten Sozialisten der Schweiz wohnen in den Städten, wo die 1:12-Initiative mit durchschnittlich 40.4% JA auf die geringste Ablehnung stiess, aber vor allem im Freiberger Jura und in La-Chaux-de-Fonds, in den Tessiner Tälern und im Mendrisiotto, wo die 1:12-Initiative sogar angenommen wurde. Im von grossen Gegensätzen geprägten Tessin schaffte die 1:12-Initiative beinahe die Sensation: Mit 49% JA wurde das Anliegen gerechterer Löhne beinahe angenommen.


Ebenso uneinheitlich ist das Bild, das sich bei der Abstimmung über die Erhöhung des Autobahnvignettenpreises ergibt:










Angenommen wurde das Nationalstrassenabgabegesetz*) in den Neuenburger Jura-Bezirken Le Locle und La-Chaux-de-Fonds und im Walliser Bezirk Raron — alles Gebiete, die vom Netzbeschluss des Bundes profitiert hätten (vgl. folgende Karte). Angenommen wurde die Vorlage auch in den verkehrsgeplagten Städten Luzern und Zürich sowie in Solothurn.

Das uneinheitliche Bild ergab sich vermutlich auch deswegen, weil die Erhöhung des Vignettenpreises von einer unheiligen Allianz bekämpft wurde: Aus ganz unterschiedlichen Gründen lehnten sowohl die Autolobby als auch Grüne die Vorlage des Bundesrates ab.


Diese Karte aus dem Argumentarium des Bundesrats für die Erhöhung des Vignettenpreises zeigt, welche 400 Kilometer Autobahnen vom Bund übernommen und welche Umfahrungen aus den neuen Einnahmen finanziert worden wären (vgl. Argumentarien pro Autobahnvignette).


Bei der Familieninitiative tat sich wieder einmal der altbekannte Stadt-Land-Graben auf:










Betrachtet man diese Karte*), sind nicht nur die Kantone Schwyz und Uri, die die Familieninitiative angenommen haben, grün eingefärbt, sondern auch zahlreiche ländlich geprägte Bezirke im Wallis, im Berner Oberland, im Luzerner Hinterland, in der Nordostschweiz und im Bündnerland — dünner besiedelte, ländlich-konservative Gebiete, die jeweils von dichter besiedelten, urbaneren und fortschrittlicheren Bezirken in ihren Kanton überstimmt wurden.

Fazit: Ein NEIN bleibt auch bei genauerem Hinschauen ein NEIN, dennoch ist es interessant, wo wer nicht NEIN, sondern JA gesagt hat.

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*) Die Auflösung der drei interaktiven Karten lässt sich oben links mit einem Klick von der Bezirksebene auf die Kantonsebene umschalten. Alle Abstimmungskarten und Zahlen stammen vom Bundesamt für Statistik.

Sonntag, 24. November 2013

Wintereinbruch

Dieses Jahr ist er schon früh gekommen, der Winter. Doch jetzt ist der Schnee schon wieder weg und draussen ist es nur noch garstig. Ja im Unterland ist der Winter weniger als einen halben Tag wirklich schön, danach aber meistens nur lästig.

Vorgestern sah es von unserem Dachfenster so aus:


Das Panorama von unserem Dachfenster am 22.11.2013 um 09.25 Uhr, zum Vergrössern aufs Bild klicken!

So hat der Winter — auch wenn er früh kommt — etwas Schönes: Der Schnee packt die Landschaft in unschuldiges Weiss. Aber die Konsequenzen im Unterland sind unschön: Sobald es ein bisschen schneit, bricht der Verkehr zusammen. An Velofahren ist auf den schneebedeckten Strassen nicht zu denken, schon gar nicht, wenn Regen den schönen Schnee in Pflotsch*) verwandelt. Und die Züge sind an solchen Tagen noch voller, weil all die ängstlichen AutomobilistInnen ihr Auto stehen lassen und sich auf die Segnungen des öffentlichen Verkehrs besinnen.


Das Panorama von unserem Dachfenster am 23.11.2013 um 14.05 Uhr, zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Anyway, gestern Nachmittag war zum Glück der ganze Schneespuk schon fast wieder vorbei.
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*) schweizerdeutsch für Schneematsch

Donnerstag, 21. November 2013

Kulturtankstelle

Als zweites Etappenziel unserer Reise in die Südschweiz hatten wir Soglio auserkoren. Obwohl Frau Frogg das Bergell schrecklich fand und deswegen kulturlose Gedanken wälzte, machten wir eine eigentliche Kulturwanderung.

Unsere Wanderung war distanzmässig eher ein Spaziergang:

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Von Soglio folgten wir zuerst ein Stück der Via Panoramico, die bis auf den Malojapass führt. Wegen des Nebels sind wir aber bei der ersten Gelegenheit via Muntac und Coltura nach Stampa abgestiegen. Nach der Besichtigung des Strassendorfs nahmen wir das Postauto zurück nach Soglio (Umsteigen in Promontogno). Dauer: etwa 2 Stunden. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch



1 Panoramaweg ohne Panorama




Wie schon am Vortag verhüllte dichter Nebel das prächtige Bergeller Panorama, aber am Wegrand gab es auch sonst einiges zu entdecken...


2 Ein Giacometti in der Kirche




Kultur zum Ersten: In der reformierten Kirche San Pietro ist ein Giacometti zu besichtigen — das Gemälde "Am Morgen der Auferstehung" in der Apsis stammt allerdings nicht vom weltberühmten Alberto Giacometti, sondern von dessen Onkel 2. Grades Augusto Giacometti (1877 - 1947), dem "Meister der Farbe", wie es auf seinem Grabstein steht.


3 Videokunst im Zuckerbäckerpalast





Kultur zum Zweiten: In Coltura bei Stampa stiessen wir auf die Rückseite des Palazzo Castelmur, ein 1723 von Johannes Redolfi erbautes Patrizierhaus. Erst als wir um das Gebäude herumgingen, realisierten wir, dass es sich um ein Scheinschloss handelt. Um 1850 nämlich liess Baron Giovanni de Castelmur (1800-1871) talseitig eine Erweiterung mit turmbewehrter Fassade in maurischem Stil anbauen. Dieser Palazzo ist ein eindrückliches Denkmal bündnerischer Rückwandererkultur, hatte es doch die Bergeller Familie Castelmur als Zuckerbäcker und Betreiber von Konditoreien in Südfrankreich zu ansehnlichem Reichtum gebracht. Als wohlhabender Mann und mit dem Titel eines Barons kehrte Castelmur ins Bergell zurück, wo er seine Cousine heiratete. Baron und Baronin genossen als Wohltäter des Tals grosses Ansehen, ihre Ehe blieb jedoch kinderlos.

In diesem Palazzo fand die Ausstellung Video Arte Palazzo Castelmur, die, als wir in Coltura waren, leider noch nicht offen hatte. Ein kurzer Bericht von art-tv.ch zeigt, was wir verpasst haben:







4 Kulturbefliessene Tankstelle



Weil das einzige Restaurant in Stampa ausgerechnet am Mittwoch zu hat, gingen wir bis ans Ende des Dorfs zu dieser Tankstelle, wo es einen ausgezeichneten Ristretto gab.

Kultur zum Dritten und ebenso wichtig wie der Ristretto: In der Kaffee-Ecke des Tankstellenshops lag das Du-Heft Nr. 835 über Giacometti und das Bergell — eine schöne und empfehlenswerte Nummer der Schweizer Kultur-Zeitschrift, die im April 2013 erschienen ist und hervorragend zu unserer Reise passt. Im Bergeller Talmuseum habe ich dann dieses Du-Heft käuflich erworben.


5 Die Giacometti und Varlin in der Ciäsa Granda

Stampa Museum
Die Ciäsa Granda in Stampa, Bild: Adrian Michael auf Wikimedia Commons.

Kultur zum Vierten im "Grossen Haus" in Stampa: Das Bergeller Talmuseum Museo Bregaglia Ciäsa Granda ist ein Allround-Museum: Es ist ethnographisches Museum, zeigt urgeschichtliche Fundstücke, thematisiert das Bergeller Handwerk, die Kastanienverarbeitung, die Auswanderung, die Zuckerbäcker und Cafetiers, stellt eine umfangreiche Mineraliensammlung sowie die Bergeller Fauna und Flora aus.

Wir interessierten uns vor allem für die grossen Künstler des Tals, die in einem eigens für sie gebauten unterirdischen Saal präsentiert werden: Rund 70 Werke von Giovanni Giacometti (1868 - 1933), seiner Söhne Alberto Giacometti (1901 - 1966) und Diego Giacometti (1902 - 1985), seines Coucousins Augusto Giacometti (1877 - 1947) sowie des Wahlbergellers Varlin (Willy Guggenheim, 1900 - 1977) sind da in einem Raum versammelt — eindrücklich, wie viele grosse Künstler das enge Tal hervorgebracht hat.

Der unterirdische Saal mit einem riesigen Bild von Varlin, "Die Leute meines Dorfes" (272 x 777 cm), Bild: www.ciaesagranda.ch.



Fazit: Das Bergell — aus Sicht der Restschweiz ein abgelegenes Tal — ist reich an Kultur. Auch wenn wir die Bergeller Zacken nie zu Gesicht bekommen haben, hat sich schon deshalb die weite Reise gelohnt.

Mittwoch, 6. November 2013

Berge, wie Bretter vor dem Kopf

Das schrieb der wortgewaltige Niklaus Meienberg über den Einfluss der Berge in Chur auf die Befindlichkeit der TalbewohnerInnen. Das Gefühl von Brettern vor dem Kopf hatte wohl auch der deutsch-österreichische Dichter Rilke. Als er den August und September 1919 in Soglio im Bergell verbrachte, schrieb er: "Ich hatte mir auch vorgestellt, auf ein offenes Italien hinunterzuschauen; es enttäuscht mich, dass auch da noch Berge im Wege sind." Als wir im Rilke-Zimmer des Hotels Palazzo Salis nächtigten, waren nicht einmal die Berge zu sehen: Die Bergeller Zacken waren wolkenverhangen — wie in Watte eingepackt.


Palazzo Salis — Übernachten wie Rainer Maria Rilke


Der 1630 durch Ritter Babtista von Salis erbaute Palazzo Salis erhielt 1701 seine heutige Form, wurde 1876 zum Gasthaus umgewandelt und 1998 von ICOMOS Suisse als Historisches Hotel des Jahres ausgezeichnet.




Der Palazzo Salis, ein beeindruckender Bau, das Interieur des Rilke-Zimmers und der Blick aus dem Fenster Richtung "offenes" Italien — wenn da nur nicht Dächer, Nebel und Berge wären...


Preisgekrönter Hotelgarten

2009 verlieh der Schweizer Heimatschutz dem historisch wertvollen Garten des Palazzo Salis den Schulthess-Gartenpreis für gartendenkmalpflegerische Erhaltungsmassnahmen und sanfte gärtnerische Erneuerungen, die sich ideal ergänzen und eine neue Harmonie schaffen würden. Diese Gartenanlage hat uns ohnehin gefallen:




Zwei prächtige Mammutbäume prägen nicht nur die Gartenanlage, sondern das ganze Dorfbild von Soglio, aber auch sonst gab es im nebelfeuchen Garten einiges zu entdecken.


Sehenswertes Dorf

Ein Rundgang durchs Dorf zeigt, dass Soglio eine Reise wert ist. Der Maler Segantini, der hier mehrmals überwintert hat, bezeichnete Soglio gar als "La soglia del paradiso", als "Schwelle zum Paradies". Das Dorf, abseits vom Durchgangsverkehr auf einer Sonnenterrasse gelegen, hat zwar nur 200 EinwohnerInnen, zählt aber gemäss Wikipedia fast 20'000 Logiernächte pro Jahr — wir sind also nicht die einzigen.




Pittoreske Gassen und schöne Steindächer prägen das Bergeller Bergdorf, das für die Touristen herausgeputzt ist.


Bergeller Berge

Warum sich Rilke freie Sicht aufs Mittelmeer oder zumindest auf ein offenes Italien gewünscht hat, weiss ich nicht, aber ich wäre schon mit einer freien Sicht auf die Bergeller Berge zufrieden gewesen.



Der Blick auf Soglio mit den beiden Mammutbäumen, das Val Bondasca (Seitental des Bergells) und die zackigen Bergeller Berge — einmal mit Wolken und einmal ohne (Bildquelle: Wikimedia Commons)

Schade, schade, schade...

Montag, 28. Oktober 2013

Reise in die Südschweiz 2

Die zweite Etappe unserer Reise in die Südschweiz führte vom einen Büdner Südtal über zwei Pässe ins andere: Von Miralago im Puschlav fuhren wir mit der RhB über die Bernina zurück nach St. Moritz im Engadin und mit dem Postauto weiter über den Maloja nach Soglio im Bergell — ein schönes Reisli vom Nebel in den Nebel.


Zum Vergrössern aufs Karte klicken! Unsere Reiseroute: Rot hervorgehoben sind die Bahnstrecken unserer Route, gelb die Abschnitte, die wir mit dem Postauto zurückgelegt haben. Die Etappenziele: 1 Miralago (im Puschlav), 2 Soglio (im Bergell), 3 Lugano und 4 Luzern


Zu Beginn der 2. Etappe lag dichter Nebel über dem See, der ...


... sich doch schon kurz vor Poschiavo lichtete.


Blick zurück auf das nebelnasse Poschiavo


Während der Lagh da Palü dem Stromproduzent Repower als Tagesspeicher dient, spielt er im neuen Pumpspeicherprojekt nur noch eine untergeordnete Rolle.


Eine Hauptrolle in den Pumpspeicherplänen spielt hingegen der Lago Bianco auf der Bernina — jahrelang Zankapfel zwischen Energiewirtschaft und Umweltverbänden.


Ein Exkurs zu Pumpspeicherkraftwerken

Im ursprünglichen Projekt wäre der Seespiegel des Lago Bianco um 17 Meter erhöht worden. Dieses umweltzerstörerische Projekt wurde von WWF und Pro Natura erfolgreich bekämpft. Anfang 2009 sistierte das Bundesgericht die Beschwerde der beiden Organisationen zu Gunsten von Verhandlungen. Herausgekommen ist dabei ein umweltfreundlicheres Projekt, zu dem auch der WWF Ja sagen kann: Der Lago Bianco wird nur um 4 Meter höher gestaut, der Talfluss Poschiavino wird vom Schwallbetrieb befreit und mit grösseren Restwassermengen dotiert und schliesslich werden die Gewässer im ganzen Puschlav gemäss eines neuen Gewässerentwicklungskonzepts revitalisiert und renaturiert.

Eine Win-Win-Situation sollte man meinen, ist doch auch Repower mit dem neu geplanten Pumpspeicherkraftwerk, das mit 1000 MW noch mehr Spitzenstrom produzieren wird als im alten Projekt, gut bedient. Doch das Lago Bianco-Projekt ist und bleibt ein Pumpspeicherkraftwerk, das billige Bandenergie zu Spitzenstrom veredelt: Nachts wird mit überschüssiger und deshalb billiger Bandenergie Wasser vom Lago di Poschiavo in den Lago Bianco hinaufgepumpt, das dann zur Mittagszeit, wenn der Bedarf am grössten ist und der Strom am teuersten verkauft werden kann, wieder turbiniert wird. Unter dem Strich wird so weniger Elektrizität produziert, denn für eine Kilowattstunde Pumpspeicherstrom braucht es 1.3 Kilowattstunden Pumpenergie, aber die Strommenge entspricht immerhin der Leistung des AKWs Gösgen.


Das Promovideo von Repower auf Youtube erklärt das neue Pumpspeicherprojekt und den mit den Umweltverbänden ausgehandelten Deal in allen Details und zeigt das Puschlav, den Lago di Poschiavo, den Lago Bianco und die Bernina bei schönstem Wetter.

Für Repower, die an Windparks in Deutschland, Italien und Rumänien beteiligt ist, macht es durchaus Sinn, die unregelmässig anfallende Windenergie auf der Bernina zu speichern. Die Bündner Bevölkerung hingegen hat am 22. September 2013 mit 56% Ja zur Initiative "Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft" und in der Stichfrage mit einem hauchdünnen Mehr von 137 Stimmen (gemäss Nachzählung) dafür gesorgt, dass Repower nicht mehr in dreckige Energieproduktion investieren darf und aus dem Kohlekraftwerksprojekt Saline Joniche in Kalabrien aussteigen muss (vgl. Der Bund vom 22.9.2013).

Ob es sinnvoll ist, die Alpen in die "Batterie Europas" zu verwandeln, ist überhaupt nicht sicher. In einem Factsheet zur Pumpspeicherung hält die Schweizerische Energie-Stiftung fest,
  • dass die 8 in der Schweiz geplanten Pumpspeicherkraftwerke allein fürs Pumpen Strom von drei AKW Mühleberg brauchen würden und dafür zusätzliche Hochspannungsleitungen gebaut werden müssten,
  • dass der "weiss zu waschende Überschussstrom" auch in Zukunft überwiegend aus Atom- und Kohlekraftwerken kommen wird,
  • dass weder die Versorgungssicherheit, noch der europäische Windboom und auch nicht der Ausbau der erneuerbaren Energien im Inland den massiven Ausbau der Pumpspeicherkapazitäten rechtfertigen und
  • dass die heute noch lukrative Pumpspeicherung wahrscheinlich schon bald nicht mehr rentiert, weil sich die Preisdifferenz zwischen billigem Nachtstrom und Tagesspitzen verringern wird.

Von der Bernina ins Bergell


Vom Ospizio Bernina (2'253 m ü. M.) geht es weiter ...


... vorbei am Morteratschgletscher nach St. Moritz.


Von St. Moritz fahren wir mit dem Postauto den Oberengadiner Seen entlang.


Vom Maloja (1815 m.ü.M.) geht es in vielen Kehren runter ins nebelverhangene Bergell.


In Promontogno, wo wir aufs Postauto nach Soglio umsteigen mussten, hatte das Arte Hotel Bregaglia schon wieder zu — dieses Kunstprojekt, das diesen Sommer bereits zum 4. Mal stattfand, hätte mich interessiert...


Fortsetzung folgt!

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Puschlaver Herbstwanderung

Am ersten Etappenziel unserer Reise in die Südschweiz logierten wir im Albergo Ristorante Grotto Miralago am südlichen Ende des Lago di Poschiavo. Das Wetter war besser als erwartet und lud ein zu einer Herbstwanderung mit einem etwas morbiden Ende.


1 Miralago — Schau den See



Unser Zimmer bot einen wunderschönen Ausblick auf die leider wolkenverhüllte Berninagruppe und den Puschlaver See, der allerdings den für Stauseen typischen hässlichen Rand aufwies, weil der Seespiegel wegen Wartungsarbeiten an den Turbinen des Kraftwerks Campocologno 1 um 7 Meter abgesenkt worden war. An sich ist der Lago di Poschiavo ein natürlicher See, doch ein Achtel seines Wasservolumens kann für die Stromerzeugung genutzt werden. Gemäss Wikipedia nennt sich sowas Naturstausee.

Unsere Herbstwanderung führte uns nach Poschiavo:

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Zwischen See und Poschiavo war führte unsere Route über asphaltierte Strässchen — mit besserem Kartenmaterial hätten wir sicher eine fussgängerfreundlichere Variante (z.B. entlang des Flusses) gewählt. Charakter: Leichte Talwanderung. Dauer: knapp 3 Stunden. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch


2 Lago di Poschiavo — idyllische Ostseite

Während der die Westseite des Sees durch die Talstrasse und die Berninabahn beeinträchtigt ist, führte der Wanderweg auf der Ostseite durch ein herbstliches Idyll, das erst am oberen Ende des Sees durch ein Kieswerk gestört wurde.










3 Canton — Jäger und Kürbiszüchter

Canton ist nicht nur der Name Dutzender Orte in den USA und die alte Bezeichnung der südchinesischen Megalopole Guangzhou — die Boom-Region im Hinterland von Hongkong umfasst etwa 10 Millionen Menschen und wird gern "Fabrik der Welt" genannt. Nur etwa etwa 1 Millionstel so viel Einwohner hat der kleine Weiler Canton im Puschlav. Schaut man sich in Canton um, muss man annehmen, dass die Leute von Canton Jäger und Kürbiszüchter sind:






4 Prada — nur von Weitem

Obwohl wir keine Angst hatten, Prada könnte teuer werden, liessen wir den Weiler rechts liegen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die anderen beiden Prada, die es im Bündnerland gibt, nichts mit dem luxuriösen Mailänder Schuh- und Täschlilabel zu tun haben.




5 Königskerzen, Piode und der Stern von Betlehem

Unterwegs gab es einiges zu sehen: wunderschöne Königskerzen in einem Garten, ein Lager mit Steindachplatten (piode da tetto) und den Stern von Betlehem:








6 Poschiavo — Paläste, Pizzoccheri und das Ossario

In Poschiavo gingen wir zuerst der Via di Palaz entlang. Hier im Spaniolenviertel haben im 19. Jahrhundert ausgewanderte Puschlaver, die im Ausland als Zuckerbäcker reich wurden, einen ganzen Strassenzug mit herrschaftlichen Villen gebaut — eine irgendwie faszinierende Geschichte...


Poschiavo, Via di Palaz (Foto: Adrian Michael commons.wikimedia.org

Trotz Palästen ist das Puschlav wegen seiner peripheren Lage nach wie vor keine reiche Gegend:



Zum Zmittag gab's für mich Puschlaver Pizzoccheri, eine leckere lokale Spezialität mit Teigwaren aus Buchweizen:



Poschiavo ist der Hauptort der Talschaft Valposchiavo. Die Plazza da Cumün ist der sehr sehenswerte zentrale Platz im städtisch anmutenden Borgo von Poschiavo. Links auf dem Bild das Hotel Albrici, das zu den Swiss Historic Hotels gehört. Fast hätten wir hier übernachtet, die Pizzoccheri jedenfalls sind empfehlenswert.



Unsere Rundgang durch Poschiavo endete etwas morbid — mit der Besichtigung des Ossario (Beinhaus) von St. Anna. Ja, sterben müssen wir alle...



Fazit: Eine vielseitige, interessante und schöne Talwanderung. Auf unserer Route leider etwas viel Asphalt, was sich aber mit einer anderen Routenwahl reduzieren lässt.

Montag, 14. Oktober 2013

Reise in die Südschweiz 1

Vor einer Woche haben wir uns aufgemacht zu einer Reise in die Südschweiz. In vier Etappen sind wir zuerst ins Puschlav, dann ins Bergell, weiter ins Tessin und schliesslich zurück nach Luzern gefahren. Mit SBB, Rhätischer Bahn und Postauto waren wir unterwegs in die entferntesten Ecken der Schweiz — eine Bilderreise.

Etappe 1: Luzern - Thalwil - Chur - St. Moritz - Miralago (Puschlav)


Unterwegs in der Aggloschweiz: Umsteigen in Thalwil


Wechsel auf Schmalspur in Chur — im Speisewagen der RhB fahren wir über den ersten Teil der Weltkulturerbe-Strecke, die Albulalinie, nach St. Moritz


Der Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein in Reichenau


Das Interieur des fast schon historischen Speisewagens — auf dem Tisch die Reisekarte von Graubünden, 1944 herausgegeben von der Rhätischen Bahn


Das Wahrzeichen der UNESCO-Strecke — der Landwasserviadukt bei Filisur — einmal auf dem Cover der Reisekarte, einmal aus dem Zugfenster


Im Oberengadin zwischen Samedan und Celerina


Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Umsteigen in St. Moritz von der Albulalinie auf die Berninalinie: Das Panorama von der Fussgängerbrücke südlich des Bahnhofs zeigt (v.l.n.r.) im Süden den Ausfluss des Lej da S. Murezzan, dahinter öffnet sich das Tal Richtung Bernina, im Westen hinter dem See die Häuser von St. Moritz Bad, dahinter die Bergeller Berge, im Norden den Sackbahnhof und einige der berühmten St. Moritzer Hotelkästen (Badrutt's Palace ist verdeckt), im Osten führen Strasse und Inn das Engadin hinab nach Celerina, Samedan, Zernez etc.. Die rote Brücke der RhB ist der Beginn der Berninalinie nach Pontesina, Poschiavo und Tirano.


Vom Engadin steigt der zweite Teil der UNESCO-Welterbestrecke meist gemächlich gegen den Bernina-Pass an


Bernina Ospizio (2253 m.ü.M.) — Blick vom höchsten Punkt der Berninalinie über den Lago Bianco auf den Cambrena-Gletscher


Nebel steigt vom Val Poschiavo hoch


Auf der Alp Grüm kreuzen sich die Züge


Ein Ausblick wie aus dem Flugzeug: das Puschlav unter der Nebeldecke


Nach vielen Kehren erreichen wir bei Poschiavo den Talgrund


Am Lago di Poschiavo ist das Ziel der ersten Etappe in Sichtweite: Miralago am unteren Ende des Sees

Fortsetzung folgt!


Zum Vergrössern aufs Karte klicken! Unsere Reiseroute: Rot hervorgehoben sind die Bahnstrecken unserer Route, gelb die Abschnitte, die wir mit dem Postauto zurückgelegt haben. Die Etappenziele: 1 Miralago (im Puschlav), 2 Soglio (im Bergell), 3 Lugano und 4 Luzern

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Was ist ein guter Bahnhofplatz?

Diese Frage stelle ich mir, seit ich in Aarau einen Schnappschuss der aufgeblasenen Wolke gemacht habe, die den Bushof auf dem Bahnhofplatz überdacht. Eine Antwort liefert die Architektur-Zeitschrift Hochparterre, die im Artikel Die Zerdächerung anhand von 15 Beispielen die Dachmonster anprangert, die Schweizer Bahnhofplätze befallen, und angesichts der neuen Seuche fordert: "Rettet die Bahnhofplätze!"

Die Wolke über dem Aarauer Bahnhofplatz, aufgenommen aus dem wartenden Postauto

Auch wenn ich zugeben muss, dass diese leichte Konstruktion tatsächlich — wie Hochparterre moniert — den Platz verschleiert, hat mir die Aarauer Stadtwolke doch gefallen. Auch die Ironie, dass ausgerechnet eine Wolke vor dem Regen schützt, gefällt mir. Aber das Argument, Perfektionismus, Geldüberfluss und Gestaltungswut würden zu überperfekten, teuren und aufgeregt-lustigen Dachmonstern führen, kann ich nachvollziehen: Wie die Hochparterre-Bildergalerie zeigt, sind Bushof-Überdachungen nicht nur in der Schweiz häufig übergestaltet und keine architektonischen Meisterleistungen — weniger wäre bisweilen mehr.


Was muss ein Bahnhofplatz?

Zumindest in Schweizer Städten ist der Bahnhofplatz meist der zentralste Platz, der früher viele öffentliche Funktionen hatte: Er musste den Bahnhof ins städtische Strassennetz einbinden, er war ein Umschlagsplatz für Personen und Waren, er diente als zentraler Treffpunkt und als Versammlungsort für politische Kundgebungen und hatte oft auch eine repräsentative Funktion.


Der Bahnhofplatz Zürich war um 1894 noch ein schöner Platz, der Raum bot für vieles, ein grosser Möglichkeitsraum. Bildquelle: Zentralbibliothek

Heute ist der Bahnhofplatz Zürich nur noch eine Verkehrsmaschine, der sich alles unterordnen muss — nicht einmal das Denkmal für den Eisenbahnkönig Alfred Escher steht noch am ursprünglichen Ort. Bildquelle: Eichenberger AG

Wie das Zürcher Beispiel zeigt, muss ein Bahnhofplatz heutzutage nur noch eines: die Bahn als überregionales und regionales Verkehrsmittel möglichst optimal mit dem regionalen und lokalen Verkehrssystem verknüpfen. Wie der Platz aussieht, ist zweitrangig — Hauptsache, die PendlerInnen können möglichst rasch und bequem vom Zug auf Tram und Bus umsteigen.

Der Bahnhofplatz in Zürich ist nicht mehr zu retten. Dennoch hat Zürich einen überdachten Bahnhofplatz:

Seit die Bahnhofhalle im Zürcher Hauptbahnhof 1996 von den Einbauten befreit wurde, dient sie als überdachter öffentlicher Raum. Das Bild stammt aus einem Artikel von 20 Minuten. Die Pendlerzeitung berichtete am 21.9.2011 darüber, dass die Bahnhofshalle erstmals für Politzwecke genutzt wurde: Im Rahmen des Wahlkampfs erlaubten die SBB den Parteien, sich auf jeweils 50 Quadratmetern zu präsentieren.

Die Zürcher Bahnhofhalle, die an bis zu 100 Tagen im Jahr für allerlei Events genutzt wird, ist heute ein gigantischer Treffpunkt: Mit der funktionalen Entmischung des öffentlichen Raums hat sie die ehemaligen Funktionen des Bahnhofplatzes übernommen. Auch in anderen Städten dient der Bahnhofplatz nur noch dem Umsteigen, alle anderen Nutzungen werden tendenziell weg verlagert. Die Überdachung der Bahnhofplätze ist die logische Konsequenz — keine Stadt will ihre PendlerInnen im Regen stehen lassen.


Ein guter Bahnhofplatz dient nicht nur dem Umsteigen

Monofunktionale Bahnhofplätze sind im Trend, aber sind sie auch städtebaulich und gesellschaftlich wünschbar? Ich bin überzeugt, dass eine lebendige Stadt einen vielfältig genutzten Bahnhofplatz braucht. In die richtige Richtung geht Luzerns Bahnhofplatz:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Der Screenshot von Google Maps zeigt den Bahnhofplatz Luzern zwischen Bahnhof und See, zwischen der wichtigsten Verkehrsachse über die Seebrücke und KKL. Der Platz ist dreigeteilt: links die Haltestellen der städtischen Buslinien, in der Mitte die Fussgängerachse vom Bahnhof zur Schifflände, rechts der Busterminal für die Linien in die Agglomeration. Der Platz setzt sich als Europaplatz fort unter dem weit auskragenden Dach des Kultur- und Kongresszentrums.

Auch in Luzern ist der Bahnhofplatz, der das Scharnier zwischen Bahnhof, Stadt und See bildet, vor allem eine Verkehrsmaschine, zumal der Bahnhof ein Kopfbahnhof ist, sämtliche Schifffahrtslinien auf dem Vierwaldstättersee hier beginnen und enden und fast alle städtischen und regionalen Buslinien über den Bahnhofplatz führen. Entsprechend gross ist das Verkehrschaos in den Stosszeiten. Für die Stadt Luzern hat der Bahnhofplatz "in erster Linie drei Funktionen zu erfüllen: Drehscheibe des öffentlichen Verkehrs, Visitenkarte für Luzern und Ort der Information (ÖV, Stadtpläne usw.). Andere Nutzungen werden toleriert, sofern sie diese Hauptnutzungen nicht einschränken" (vgl. Medienmitteilung der Stadt Luzern vom 29.9.2009). Luzern sucht also einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Ansprüchen. Tatsächlich dient der Bahnhofplatz nicht nur dem Umsteigen, sondern auch repräsentativen Zwecken: Der rekonstruierte Torbogen des alten Bahnhofs erinnert an den Brand und geleitet die Reisenden vom Bahnhof zum Schiff und umgekehrt. Der Bahnhofplatz ist auch ein Treffpunkt und ein Ort des Vergnügens, dafür lässt Luzern die PendlerInnen mancher Buslinien im Regen stehen.

An der Määs beispielsweise steht das Karussell mitten auf dem Bahnhofplatz.

Luzern geht mit seinem Bahnhofplatz in die richtige Richtung: Auch wenn der Platz vorwiegend dem öffentlichen Verkehr dient, bemüht sich die Stadt, diesen zentralen Platz auch noch anderweitig zu nutzen. Ein guter Bahnhofplatz ist nicht nur eine Verkehrsmaschine, sondern auch eine Visitenkarte der Stadt, ein Treffpunkt und ein Aufenthaltsort — ob mit oder ohne Dach, ist letztlich eine zweitrangige Frage der Ästhetik. Ein guter Bahnhofplatz ist ein multifunktionaler öffentlicher Raum, der nicht nur den Ansprüchen der PendlerInnen gerecht wird.
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