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Freitag, 13. Juni 2014

Animierter Freitagstexter

Ich freue mich, wieder einmal den Freitagstexterpokal in den Händen zu halten. Überreicht wurde er mir von der Testsiegerin. Gleichzeitig habe ich kaum Zeit, den Freitagstexter auszurichten, ist doch mein Bruder aus den USA zu Besuch. Aus aktuellem Anlass deshalb eine Illustration, die mein Bruder für die New York Times kreiert hat.

Ladies and Gentlemen, hier der neue Freitagstexter — für einmal als animated GIF:


By courtesy of Christoph Hitz (Link zum Online-Portfolio meines Bruders). Zum Vergrössern bitte aufs Bild klicken!

Also: Lasst Euch eine griffige Legende zu dieser animierten Illustration einfallen. Vorschläge sind bis Dienstag, 17. Juni 2014, 23:59 Uhr, einzureichen. Der beste Vorschlag wird am Mittwoch prämiert und der Gewinner oder die Gewinnerin des begehrten Wanderpokals darf den nächsten Freitagstexter ausrichten. Mitmachen dürfen alle, gewinnen können aber nur FreitagstexterInnen mit eigenem Blog.

Und jetzt: Haut rein in die Tasten!

Freitag, 6. Juni 2014

§1 Das Volk hat immer Recht

"Das Volk hat immer Recht", sagt die SVP — und die muss es ja wissen, heisst sie doch Schweizerische VOLKspartei. Diese populäre Populistenpartei ist deshalb der Meinung, es brauche in der Schweiz kein Verfassungsgericht, weil das Volk als Souverän über der Verfassung steht und in die Schweizerische Bundesverfassung schreiben kann, was es will, ausser...

... eine Verfassungsänderung widerspricht übergeordnetem Recht.


Zum Beispiel den Menschenrechten. Aber dann werden wir Eidgenossen früher oder später von den Strassburger Richtern zurückgepfiffen, denn auch wir haben die Menschenrechtskonvention unterzeichnet. In der Folge müssten wir die Verfassung und zugehörige Gesetze und Erlasse wieder ändern oder das Parlament, Behörden und Gerichte haben derart grosse Umsetzungsprobleme, so dass das, was das Volk in die Verfassung reingeschrieben hat, letztlich toter Buchstabe bleibt. So geschehen mit der Verwahrunsinitiative, die 2004 vom Volk angenommen wurde und dafür sorgt, dass extrem gefährliche Sexual- oder Gewaltstraftäter, die nicht therapierbar sind, lebenslang verwahrt werden. Das ist derart unwiderruflich und vermutlich auch nicht mit den Menschenrechten vereinbar, dass sich die Gerichte äusserst schwer tun, solche Straftäter bis an ihr Lebensende wegzusperren. Angesichts der Tatsache, dass bis jetzt nur der Callgirl-Mörder auf immer verwahrt wurde, würde uns ein Verfassungsgericht, das den Souverän daran hindert, eine kaum umsetzbare und womöglich mit den Menschenrechten nicht konforme Bestimmung in die Bundesverfassung zu schreiben, vor viel Diskussionen, Ärger und Frust bewahren.

... eine Verfassungsänderung hat Konsequenzen, die das Volk vorher nicht bedacht hat.

So geschehen am 9. Februar, als der Schweizer Souverän mit 50.3% JA die Initiative "Gegen Masseneinwanderung" angenommen hat (vgl. Nicht nur die Agglo ist gekippt). Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die EU nicht von ihrem Prinzip der Personenfreizügigkeit abweichen wird und deshalb kaum uns als Nicht-Mitglied Sonderkonditionen zugesteht. Dann haben wir die Wahl zwischen Volkswille und Aufkündigung der Personenfreizügigkeit, was wahrscheinlich auch das Ende der Bilateralen Verträge zur Folge haben wird.

Aber das Volk kann ja auch gescheiter werden, wie 1978 als die Schweiz in einem Referendum die Einführung Sommerzeit ablehnte und 1980 zur Zeitinsel mitten in Europa wurde. Auch gegen den zweiten Anlauf zur Einführung der Sommerzeit wurden Unterschriften gesammelt, doch das Volk weigerte sich zu unterschreiben und die notwendigen 50'000 Unterschriften kamen nicht zusammen. So wurde 1981 die Sommerzeit doch noch eingeführt und eine Wiederholung des Zeitchaos vermieden — der Souverän ist eben doch lernfähig.

Hoffentlich gilt das auch in Bezug auf unser Verhältnis zur EU und entscheiden uns in der Frage "Kündigung der Personenfreizügigkeit oder Bilaterale Verträge?" für die Weiterführung der Bilateralen, ohne die die beispiellose Prosperität der Schweiz in den letzten zwei Jahrzehnten nicht möglich gewesen wäre.

... eine Verfassungsänderung widerspricht den eigenen Prinzipien.

Zum Beispiel dem Verhältnismässigkeitsprinzip. Bundesrat und Parlament tun sich schwer mit der Umsetzung der 2010 mit 52.9% JA angenommenen Ausschaffungsinititiative, die eine konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer verlangt, was nicht in jedem Fall verhältnismässig ist, aber nicht mehr individuell beurteilt werden soll. Doch mit dem Kompromissvorschlag des Bundesrats, der halbwegs dem Verhältnismässigkeitsprinzip und Menschenrechtskonvention gerecht wird, ist die die SVP ganz und gar nicht einverstanden. Deshalb will sie mit einer 2012 eingereichten Durchsetzungsinititive dafür sorgen, dass das Volk doch noch Recht bekommt — und Paragraf 2 in Kraft tritt:

§2 Sollte das Volk einmal nicht Recht haben, tritt automatisch Paragraf 1 in Kraft.

Fazit: Nach mehreren solchen frustrierenden Übungen sollte sich der Souverän überlegen, ob er nicht vielleicht doch ein Verfassungsgericht einführen will, das darüber entscheidet, ob eine Initiative mit der bisherigen Verfassung und übergeordnetem Recht kompatibel ist — zeigt doch die Erfahrung, dass §1 nicht automatisch gilt.

PS. Diese Woche wurde bekannt, dass die SVP auch der Initiative "Gegen Masseneinwanderung" mit einer Durchsetzungsinitiative zum Durchbruch verhelfen will — und das nur vier Monate nach der Abstimmung und noch bevor der Bundesrat eine Strategie für die Verhandlungen mit Brüssel präsentiert hat. Wenn das keine Zwängerei ist!

Dienstag, 20. Mai 2014

Nicht nur die Agglo ist gekippt

In den letzten Monaten war ich nicht in Bloger-Stimmung, deshalb habe ich diesen Beitrag zur Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar erst jetzt fertiggestellt...

Wegen der 50.3% JA zur Initiative "Gegen Masseneinwanderung" herrscht in der urbanen Schweiz immer noch Katzenjammer, Konsternation und Ratlosigkeit, obwohl das Votum schon mehr als drei Monate zurückliegt. Analysten und Kolumnistinnen versuchen zu erklären, wie es zu diesem demokratischen GAU kommen konnte. Die Diplomatie macht auf Schadensbegrenzung und PolitikerInnen suchen nach einem Weg, wie die Schweiz den Fünfer und das Weggli behalten kann...

Ich glaube allerdings nicht, dass es möglich ist, die Zuwanderung aus der EU zu kontingentieren und zu beschränken, ohne die für die Schweiz wirtschaftlich wichtigen Bilateralen Verträge (u.a. zur Personenfreizügigkeit) künden zu müssen — schliesslich kann man das Fell des Bären auch nicht waschen, ohne dass es nass wird. Bis im Juni will der Bund ein Umsetzungskonzept erarbeiten, was aber nicht einfach wird, reicht doch das Spektrum der Vorschläge von einer Kontingentslösung, die von der SVP favorisiert wird und noch rigider ist als das System der 80er Jahre, bis zum EU-Beitritt, den die SP ins Auge fasst, um den gordischen Knoten zu lösen. Und bis im Dezember will der Bundesrat eine Gesetzesvorlage ausarbeiten, die dann als Diskussionsgrundlage in die Vernehmlassung geht und bei der EU auf Akzeptanz getestet werden kann.

Sollte sich allerdings in den Verhandlungen mit der EU herausstellen, dass die Masseneinwanderungsinitiative die Kündigung der Bilateralen Verträge mit der EU nach sich zieht, dann sollte das Stimmvolk entscheiden können, ob es wirklich das Ende des Bilateralen Wegs will. Denn die Abstimmung über die SVP-Initiative war keineswegs eine Abstimmung über die Zukunft des Bilateralen Wegs.

Wenn ich König der Schweiz wäre, hätte ich sofort nochmals abstimmen lassen, denn ich bin überzeugt, dass die Abstimmung jetzt anders herauskäme, 1. weil diejenigen, die ein Denkzettel-JA einlegten, dies nicht nochmals tun würden, 2. weil allmählich die unabsehbaren Konsequenzen sichtbar werden und 3. weil die Wirtschaftskreise sich diesmal auch persönlich für ein NEIN einsetzen würden. Aber ich bin nicht der König der Schweiz. Und: Es wäre zutiefst undemokratisch, wenn man nicht versuchen würde, den Volkswillen umzusetzen — aber bitte nicht gleich das Kind mit dem Bad ausschütten!


19'526 Stimmen machten den Unterschied









Die Auflösung dieser interaktiven Karte lässt sich oben links mit einem Klick von der Bezirksebene auf die Kantonsebene umschalten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

Die Karte oben und die Tabelle unten zeigen einen Polenta-Graben, einen Röschti-Graben und einen Stadt-Land-Graben. Wenn es in der Schweiz tatsächlich irgendwo ein Problem mit ausländischen Arbeitskräften gibt, dann im Tessin — allerdings nicht mit eingewanderten EU-Bürgern, sondern mit den Grenzgängern, die dank tieferen Lebenshaltungskosten in Italien sich leisten können, für weniger Lohn als die TessinerInnen zu arbeiten. Sie verdienen auch so noch mehr als in Norditalien. In der italienischen Schweiz ist denn auch der JA-Stimmenanteil 16 Prozentpunkte höher als in der Deutschschweiz und gar 26.6 Prozentpunkte höher als in der Romandie, die gegenüber der EU offener ist und die SVP-Initiative abgelehnt hat. Deutlich zu sehen ist auch der Röschti-Graben zwischen der Romandie (41.5% Ja) und der Deutschschweiz (52.0% Ja).

Der vor der Abstimmung viel zitierte Dichtestress scheint nicht den Ausschlag gegeben zu haben: Je urbaner ein Gebiet ist, desto niedriger die Zustimmung zur Masseneinwanderungsinitiative — die grösseren Deutschschweizer Städte haben die Initiative allesamt abgelehnt. Wäre man die Probleme des Tessins früher angegangen, hätten die TessinerInnen nicht so massiv zugestimmt und es hätte für ein Nein zu dieser unsäglichen Initiative gereicht. Bei total rund 2.9 Mio. Stimmen ist diese Abstimmung angesichts der fehlenden 19'527 Nein-Stimmen aber überall und nirgends verloren gegangen — auch die Stadtzürcher StimmbürgerInnen hätten die Abstimmung im Alleingang kippen können.

Initiative «Gegen Masseneinwanderung» : Ja in %


Deutsche
Schweiz
Französische
Schweiz
Italienische
Schweiz
Gesamte
Schweiz

Städtische Gemeinden
Zentren41.037.766.341.5
Agglomerationsgemeinden52.940.668.551.2
Isolierte Städte53.942.251.3
Ländliche Gemeinden60.747.069.657.6

Schweiz52.041.568.0 50.3

Differenzen (in Prozentpunkten)
Deutsche – französische Schweiz10.6
Deutsche – italienische Schweiz -16.0
Französische – italienische Schweiz-26.6
Stadt – Land-9.9

Quelle: Bundesamt für Statistik


Gebiete mit hohem Ausländeranteil lehnten die Masseneinwanderungsinitiative ab — ein Paradox!

Man könnte meinen, dass die SVP-Initiative "Gegen Massenwanderung" da angenommen wird, wo viele AusländerInnen leben und wo es allenfalls auch Probleme und Konflikte gibt, aber es war genau umgekehrt: Je geringer der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung, desto höher die Zustimmung zur Initiative. Plakativer ausgedrückt: Diejenigen, die AusländerInnen nur vom Hörensagen kennen, haben Angst vor einer Masseneinwanderung.


Waagrecht ist die Zustimmung zur Masseneinwanderungsinitiative aufgetragen, senkrecht der Anteil der AusländerInnen an der Wohnbevölkerung, die Grösse der Kreise entspricht der jeweiligen Kantonsbevölkerung, die ablehnenden Kantone sind rot, die zustimmenden grün. Quelle: www.martingrandjean.ch

Es ist tatsächlich ein bisschen absurd: Von den JA-Kantonen haben nur gerade Schaffhausen und der Tessin einen überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil, unter den NEIN-Kantonen sind drei, die einen relativ geringen Ausländeranteil aufweisen (Wallis, Fribourg und Jura). Ging es womöglich gar nicht um die Einwanderung?


Frapante Ähnlichkeit der Karten

Am 8. Februar 2009 stimmte die Schweiz über eine ähnliche Frage ab: über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit Schweiz-EU auf die neuen Mitgliedsländer Bulgarien und Rumänien. Damals sagte die Schweiz noch mit fast 60% JA.









Die Auflösung dieser interaktiven Karte lässt sich oben links mit einem Klick von der Bezirksebene auf die Kantonsebene umschalten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

Vergleicht man diese Karte mit der Karte zur SVP-Initiative stellt man eine frapante Ähnlichkeit fest, allerdings sind die Farben vertauscht: Dunkelgrün entspricht violett und umgekehrt rosa hellgrün. Grund dafür ist, dass wer für die Personenfreizügigkeit ist, 2009 JA und 2014 NEIN stimmen musste. Nur: In den fünf Jahren hat die Akzeptanz der Personenfreizügigkeit um fast 10 Prozentpunkte abgenommen.

In nur fünf Jahren hat also die Stimm-Schweiz ihre Meinung bezüglich Zuwanderung geändert: Waren 2009 noch 59.6% für die Erweiterung der Personenfreizügigkeit, stimmten vor zwei Monaten nur noch 49.7% gegen die Initiative. In der folgenden Karte habe ich obige Karten übereinandergelegt und die Kippbezirke, die vor fünf Jahren die Personfreizügigkeit befürwortet haben, aber jetzt gekippt sind und auch die Initiative gegen die Masseneinwanderung angenommen haben, rot angemalt.




Fazit: Nicht nur die Agglo ist gekippt — wie es in einigen Analysen hiess — sondern grosse Teile der Schweiz (rot). Standhaft bei ihrer liberalen Haltung gegenüber Ausländern blieben die Romands, die BündnerInnen und die Deutschschweizer Städte (rosa bis violett). Ihre ausländerfeindliche Haltung beibehalten haben die TessinerInnen und die erzkonservativen Landregionen, die nur geringe Ausländeranteile aufweisen, aber dennoch schon vor fünf Jahren gegen die Ausweitung der Personenfreizügigkeit gestimmt haben (grün).

Montag, 19. Mai 2014

Den Vogel abgeschossen

Gestern Sonntag hat das Schweizer Stimmvolk gleich 22 Vögel abgeschossen: Der Kauf von 22 schwedischen Gripen-Kampfjets für 3.126 Milliarden Franken wurde mit 53.4% NEIN abgelehnt. Nein-Mehrheiten gab es in der Romandie, im Tessin und in den Städten der Deutschschweiz. Die Schweiz bleibt eine Gripen-freie Zone.

Auf der interaktiven Karte mit Abstimmungsergebnissen ist der Röschti-Polenta-Stadt-Land-Graben sehr schön zu sehen:









Quelle: Bundesamt für Statistik

Ein grosses Merci in die Romandie für das deutliche Nein (im Bezirk Les Franches-Montagnes sagten 80.3% NON zum Gripen) mit dieser schönen Persiflage von Martin Grandjean:



Fazit: So lange die Schweizer Luftwaffe nur werktags zu Bürozeiten einsatzbereit ist (vgl. mein Beitrag "Bitte, liebe Terroristen, haltet Euch an die Bürozeiten"), braucht sie auch keine neuen Spielzeuge zu einem Stückpreis von 142 Millionen. Nach wie vor würde ich eine Luftwaffe, die nur zu Bürozeiten einsatzfähig ist, gänzlich grounden, weil sie schlicht überflüssig ist.


Quelle: Gruppe Schweiz ohne Armee

Donnerstag, 17. April 2014

D'Buebe gönd is Bett

Immer wenn Frau Frogg über Verhörer und Mondegreens schreibt, z.B. in ihrem Beitrag Schmierig, kommt mir eine Geschichte aus meiner Kindheit in den Sinn. Sie hat mit dem Ins-Bett-Gehen zu tun, gegen das wir uns — wie viele Kinder — sträubten. Übersetzt heisst dieser Eintrag: Die Buben gehen ins Bett.

"D'Buebe gönd is Bett" ist aber weder ein Mondegreen noch ein Soramimi (vgl. Wikipedia zu Verhörer), sondern eine absichtliche Verballhornung eines Songtexts auf dieser Single, die meine Eltern in den 60er Jahren von einer Reise nach Marokko heimbrachten:



Die Single stammt vom algerischen Autor, Komponisten, Sänger und Schauspieler Ahmed Saber (1937 - 1969). Der Musiker, der richtig Benaceur Baghdadi hiess und in Oran lebte, gilt als Pionier von El Asri, dem musikalischen Bindeglied zwischen traditioneller arabischer Musik und moderner Rai-Musik (vgl. Rai! Beim Barte des Propheten — eine gute Darstellung der Geschichte des Rai von Jean Trouillet).

Und so tönt sie, die über 50 Jahre alte Single:


Das Stück "Biyaa el Batata" von Ahmed Samer, auf Youtube hochgeladen von attafi

Uns Kindern gefiel diese 45-Touren-Platte so sehr, dass mein Vater sie immer wieder laufen lassen musste. Aber schon bald einmal begann er an Stelle des Antwort-Gesangs mitzusingen: D'Buebe gönd is Bett. Noch heute höre ich bei diesem Song von Ahmed Saber nicht den Text, sondern die Verballhornung durch meinen Vater.

Mittwoch, 2. April 2014

Die Abrechnung

Das seltsame Straussengefährt wurde ungefähr 1917 auf der Cawston Ostrich Farm im kalifornischen South Pasadena aufgenommen. Diese erste und grösste Straussenfarm der USA wurde 1886 von Edwin Cawston gegründet und existierte bis 1935. Cawston's Farm im Arroyo Seco war im frühen 20. Jahrhundert eine Touristenattraktion — nicht zuletzt wegen der Strassenbahn von Downtown Los Angeles (sic!) — und bekannt für seine Straussenfedernprodukte, die sie in alle Welt exportierte.

Hier das Video über die Cawston Ostrich Farm:


Danke an die Neuköllner Botschaft für den Hinweis auf dieses Youtube-Video (3:44, englisch).

Kommen wir nach diesem historischen Exkurs übers "Ostrich Farming" in Kalifornien zur Abrechnung: Eingegangen sind 11 Kommentare, davon sind 2 nicht zum Bild, sondern zur Vorgeschichte dieses Freitagstexters. Von den restlichen 9 stammen 5 von Gästen oder sind ausser Konkurrenz. Kommen also noch 4 in die Kränze für die Ausrichtung des nächsten Freitagstexters. Alle vier haben schöne Anspielungen auf den Strauss oder das seltsame Gefährt. Merci fürs Mitmachen!





Anerkennungspreis
Anerkennung verdient sich Wer? (dieser Nick ist wahrscheinlich ein Ratespiel für mich) für die preiswürdige Bezeichnung des seltsamen Gespanns als "Strauss-Kahn".


Bronze
gehen an la-mamma, die daran erinnerte, dass ein Strauss auch ein euphemistischer Ausdruck für Streit ist (Während die Frau auf dem Bild lacht, ist Hanspeter gar nicht amused), und an Leise Töne, der mit seinem Kommentar Henry Ford (gemäss obigem Video ein prominenter Besucher der Straussenfarm) ins Spiel brachte und einen Bezug zum Grossen Amerikanischen Strassenbahn-Skandal herstellte.


Das Bild aus obigem Wikipedia-Eintrag über den Strassenbahn-Skandal zeigt Pacific Electric Red Cars, die auf die Verschrottung warten.

Wer weiss schon, dass die Autostadt Los Angeles einmal eine öV-Metropole war? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschlossen Tramlinien Neubaugebiete am "Stadtrand" und halfen mit, die Zersiedelung von Los Angeles voranzutreiben. Als die Strassenbahnen in der Zwischenkriegszeit in finanzielle Schieflage kamen, wurden sie von General Motors, Firestone und Standard Oil aufgekauft und stillgelegt. Heute versucht der Grossraum Los Angeles mit einer Metro seine Smogprobleme in den Griff zu bekommen...


Silber
gewinnt NeonWilderness mit seinem Beitrag über das Formel-1-Team von Red Bull:

Schon bei der Vorstellung hatten Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo das sichere Gefühl, dass an ihrem neuen Red Bull Gespann noch so einiges würde verbessert werden müssen.

Sehr schön die Kombination von Red Bull, das angeblich Flügel verleiht, mit einem Vogel, der nachweislich nicht fliegen kann.

Probleme mit dem Fliegen hatten auch diverse Extremsportler, die von Red Bull gesponsert wurden und bei ihrem waghalsigen Tun ums Leben gekommen sind. Der sehenswerte Dokumentarfilm Die dunkle Seite von Red Bull, der vor zwei Wochen im Schweizer Fernsehen SRF ausgestrahlt wurde und bis zum 29. April noch unter obigem Link nachgesehen werden kann, stempelt Red Bull nicht gerade zu einem "Mörder-Gesöff", aber hinterfragt die Sponsoring-Praktiken von Red Bull sehr kritisch. Die Getränke-Marke stifte mit grossen Geld-Beiträgen Extremsportler dazu an, übermässige Risiken einzugehen, und schlage auch dann Kapital aus dem Kitzel, wenn die Sportler dabei umgekommen sind. Ein nachdenklich machender Film über ein Getränk, das doch keine Flügel verleiht und wegen solchen unethischen Sponsorings boykottiert werden sollte...


Gold
und damit auch Ehre und Pflicht, den nächsten Freitagstexter auszurichten, gehen an das bee für seine Offroader-Assoziation:

Die hochbeinigen Offroader der Saison zeichnen sich auch vorne durch starke Federung aus.

Obwohl ich ein seltsames Straussengefährt sah, entstand in meinem Kopf dank dieser Bildlegende das Bild eines Zivilpänzerlis — das ist der leicht verächtliche, schweizerdeutsche Übername für Offroader, der diese Strassenmonster zu kleinen, zivil genutzten Panzern verniedlicht. Besonders amüsiert hat mich die starke Federung. Herzliche Gratulation!


Und hier geht's zum nächsten Freitagstexter:



Die ewige Bestenliste auf Twitter: twitter.com/Freitagstexter

Freitag, 28. März 2014

Herausgefischtes Stöckchen

Liebe Freitagstextergemeinde, heute Morgen hatte ich eine Email von der Neuköllner Botschaft, Pokalgewinner das Bee hätte dankend auf den Pokal verzichtet und an mich weitergereicht. Was für eine überraschende Ehre, die ich hiermit gerne annehme...

Überraschend ist die Ehre, weil sich der letzte Freitagstexter nicht mehr nachvollziehen lässt — hat doch die Neuköllner Botschaft den Wettbewerb samt Kommentaren gelöscht. Allerdings: Auch die Botschaft in Neukölln wird von Google abgehört, hier ein Abbild der Datenspur im Cache:


Das Bee schrieb zum Maden-Bild aus Neukölln: "Svjatoslav war sich absolut sicher, dieses 'Made' in Germany, es stand für Qualität." Und mein nach Ablauf der verlängerten Frist eingereichter Kommentar war: "Bin Maden".


Wie auch immer — ich habe das Stöckchen aus dem Wasser gefischt und hier kommt der neue Freitagstexter:


Dieses Fundstück aus dem weltweiten Bilderweb stammt von www.rootsweb.ancestry.com. Zum Vergrössern bitte aufs Bild klicken!

Freunde und Freundinnen der gepflegten Bildbetextung sind gebeten, ihre Vorschläge — und das ist kein Aprilscherz — bis Dienstag, 1. April 2014, 23:59 Uhr, einzureichen. Der beste Vorschlag wird am Mittwoch prämiert und der Gewinner oder die Gewinnerin des begehrten Wanderpokals darf den nächsten Freitagstexter ausrichten. Mitmachen dürfen alle, gewinnen können aber nur FreitagstexterInnen mit eigenem Blog.

Und: Bitte den Kopf nicht in den Sand stecken!

Samstag, 1. März 2014

Die Erfindung des Gruppentourismus

Vor 150 Jahren veränderte eine Reise durch die Schweiz die touristische Welt: Die britische Reisegruppe von Thomas Cook, die 1863 die Schweiz bereiste, war nämlich die allererste, die mit einer organisierten Gruppenreise unterwegs war — der Gruppentourismus war erfunden. Drei Reiseberichte und eine Buchkritik.

Dieser Eintrag hat eine längere Geschichte: Als ich im Sommer die 4-Seen-Wanderung verblogte, die z.T. auf der Via Sbrinz verläuft, landete ich wieder einmal auf der Homepage von Kulturwege Schweiz, wo ich feststellte, dass es neben der Via Sbrinz auch eine Via Cook und zehn weitere geschichtsträchtige Routen auf historischen Wegen gibt:

Die 12 Routen von Kulturwege Schweiz (zum Vergrössern Karte anklicken!

Doch so richtig angesprungen hat mich diese Geschichte ein paar Tage später, als im Radio SRF 4 News eine halbstündige Zeitblende zum 150. Jubiläum der ersten Gruppenreise von Thomas Cook kam. Die Sendung mit dem Titel Auf den Spuren von Thomas Cook und Jemima Morell basierte auf einem Gespräch mit Diccon Bewes, einem Engländer, der in Schweiz lebt und ein Buch über diese erste Gruppenreise für Oktober ankündigte. Auf seinem Blog schreibt er immer wieder über die Schweiz, ihre BewohnerInnen und ihre Eigenheiten — ein oft witziger Blick von aussen. In seinem Buch Slow Train to Switzerland vergleicht er Cook's Reise von 1863 mit den eigenen Erfahrungen, die er 150 Jahre später auf der selben Route machte.


Reise 1: Miss Jemima's Abenteuer des Lebens

Jemima Morell 1863. Bild: www.srf.ch. Thomas Cook's Reisegruppe — Miss Jemima ist die Dritte von links. Bild: www.kulturwege-schweiz.ch.

Ich weiss nicht, ob Jemima Morell sich bewusst war, dass sie sich auf das Abenteuer ihres Lebens einliess, als sie 1863 bei Thomas Cook kurzfristig die Gruppenreise in die Schweiz buchte. "Thomas Cook's first Conducted Tour of Switzerland" war nämlich die erste Gruppenreise ausserhalb Grossbritanniens und als Testreise konzipiert, die mit heutigen Pauschalreisen kaum zu vergleichen ist. Reisen war damals noch äusserst beschwerlich und anstrengend, weil vom schweizerischen Eisenbahnnetz erst die Hauptlinien durchs Mittelland fertiggestellt worden waren und die meisten Pass-Strassen erst in jener Zeit entstanden. Der Saumweg über den Brünig z.B. wurde 1857 - 1860 zur fuhrwerktauglichen Strasse ausgebaut. So war die siebenköpfige Gruppe von Miss Jemima viel zu Fuss unterwegs und überquerte zwei Alpenpässe mit Hilfe von Maultieren. Das grösste Abenteuer war aber wahrscheinlich die Überquerung des Mer de Glace in Chamonix mit aus heutiger Sicht höchst fahrlässiger Ausrüstung:


Das Bild aus den Beständen der Zentralbibliothek Zürich zeigt die Traversée de la Mer de Glace. Bild: upload.wikimedia.org

Auch die Hotelübernachtungen musste die Gruppe teilweise selber organisieren. So glich Miss Jemima's Reise durch die Schweiz mehr einem Rucksacktouristen-Trip mit organisierter Hin- und Rückreise als einer durchorganisierten Pauschalreise. Durchaus vergleichbar mit heutigen Schweizreisen waren die Aufenthaltszeiten an den Etappenorten: Für die Sehenswürdigkeiten in Luzern hatte die Gruppe von Miss Jemima gerade mal vier Stunden Zeit...

Dass man so viel weiss über Thomas Cook's erste Gruppenreise verdanken wir der Tatsache, dass Jemima Morell ein Reisetagebuch führte, und der Tatsache, dass dieses Tagebuch in den Trümmern eines im Zweiten Weltkrieg zerbombten Londoner Hauses wieder entdeckt und 1963 anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums publiziert wurde.


Das Bild aus dem Archiv von Thomas Cook zeigt zwei Tagebuchseiten aus Miss Jemima's Swiss Journal. Bild: Englischer Beitrag auf dem Newsportal der Deutschen Welle


Reise 2: Diccon Bewes auf Miss Jemima's Spuren

Auf seiner Rekonstruktion von Miss Jemima's Reise durch die Schweiz ist Diccon Bewes im selben Rhythmus unterwegs und übernachtet an den selben Etappenorten wie Cook's Reisegruppe, aber er hält sich nicht sklavisch an Jemima's Swiss Journal und macht auch mal einen "ear-popping, jaw-dropping" Ausflug auf die Aiguille du Midi — etwas, das zu Jemima's Zeiten undenkbar gewesen wäre. Auch die Transportmittel sind nicht immer die selben: Während Miss Jemima mit Postkutsche und Dampfschiff von Brienz über den Brünig nach Luzern gelangte, sind Bewes und seine Mutter mit dem "slow train" der Zentralbahn unterwegs. Während Bewes' TGV mit 250 km/h von Paris nach Genf rast, waren für Miss Jemima schon die 30 Stundenkilometer, mit denen sich ihr Zug 1863 fortbewegte, schon fast zu schnell.

Zum Teil ist das Reisen auf der selben Route wieder komplizierter geworden: Um die Morgenfähre von Newhaven nach Dieppe zu erreichen, muss Bewes an der Kanalküste übernachten, weil es keine direkte Zugsverbindung von London nach Newhaven mehr gibt. Und in Dieppe konnte man früher an der Station maritime vom Schiff auf den Zug umsteigen, heute fährt einem der Shuttlebus am Fährterminal vor der Nase ab...


Während Miss Jemima sich über die Kurgäste mokierte, die sich in Leukerbad tagelang einweichen liessen, geniesst die Jubiläumsreisegruppe 150 Jahre später das "schwimmende" Frühstück. Bild: Blogeintrag A Swiss tour to remember von Diccon Bewes

Der Vergleich der beiden Reisen liefert interessante Erkenntnisse über Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Reisen, über die Schweiz von damals und heute und über die Entwicklung des Tourismus und der touristischen Infrastruktur. Im Vorwort stellt Bewes drei Thesen auf, die er mit seinem Sachbuch belegen will: Es war 1. eine Tour, die die Welt des Reisens veränderte, 2. eine Reise, die den Massentourismus einläutete, und 3. eine Invasion, die die moderne Schweiz kreierte. Während die ersten beiden Thesen dank vielen Fakten nachvollziehbar werden, habe ich bei der dritten These so meine Zweifel: Möglicherweise war die britische Touristeninvasion ein Treiber für den Modernisierungsschub in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber nicht der einzige und schon gar nicht dessen Ursache. Viel wichtiger war die Bundesstaatsgründung von 1848.


Das Dampfschiff Rigi, das 1848 in London gebaut wurde und heute im Verkehrshaus der Schweiz zu besichtigen ist, beförderte 1863 höchstwahrscheinlich auch Cook's Reisegruppe. Bild: Verkehrshaus der Schweiz

"Slow Train to Switzerland" ist ein Lobeshymne auf das langsame Reisen, aber Bewes hält uns Schweizern auch ein bisschen den Spiegel vor: "This is Swiss bliss" — "Das ist Schweizer Glückseeligkeit", schreibt er auf Seite 158:

"As the paddle steamer surges forward, cutting a swathe through the water, a welcome breeze tickles our faces and laps at the edges of the giant Swiss flag dangling from the flagpole. This is Swiss bliss. It would be hard to find a more inherently relaxing hour than sitting in one of these Belle Époque beauties, surrounded by polished wood and brass, in turn surrounded by shimmering water and mountains. This is slow travel at its finest. We can sit back and relax until we reach the tourist capital of Switzerland, also known as Interlaken."

Obwohl ich die Schweiz gut kenne, habe ich dank Bewes dazugelernt: Nicht nur im Glarnerland gibt es ein Martinsloch, sondern auch im Berner Oberland. Durch das Loch in der Eigerflanke scheint — wie in Elm (GL) — zweimal pro Jahr die Sonne genau auf die Kirche von Grindelwald (vgl. Vom Martinsloch zum Gletschersee-Stollen in der Jungfrauzeitung vom 17.1.2013). Viele Stories und Anekdoten aus 150 Jahren Tourismus-Geschichte reichern die beiden Reiseberichte an und machen das Buch auch für Schweizer LeserInnen interessant.


Reise 3: Mit Google Earth auf Miss Jemima's Spuren

Mein Englisch ist nicht so gut, dass ich nie etwas nachschlagen müsste. Und mit dem virtuellen Wörterbuch auf dict.leo.org geht das einfacher, schneller und besser als mit einem realen Diktionär. Deshalb las ich Diccon Bewes' Buch mit laufendem Laptop nebendran. So war es naheliegend, dass ich die Reisen von Jemima Morell und Diccon Bewes virtuell nachvollzog. Mit Google Earth folgte ich im Tiefflug der Bahnlinie von Dieppe nach Paris und gelangte schneller als der TGV nach Genf. Mit Google Street View spazierte ich durch Chamonix und schaute mir das Hotel Royal an, wo Thomas Cook's Reisegruppe 1863 zwei Nächte verbrachte:

Der Screenshot von Google Street View zeigt das in ein Casino umgewandelte Hotel Royal in Chamonix.

Sicher eine halbe Stunde, wenn nicht länger, wandelte ich virtuell durch die Räumlichkeiten und die Parkanlage des Grandhotel Giessbach, wo Diccon Bewes und seine Mutter stilvoll nächtigten:

Zum Start des interaktiven 3D-Rundgangs durch die grandiosen Räumlichkeiten des historischen Grandhotels am Brienzersee auf das Bild klicken!

Allerdings: Als Miss Jemima hier nächtigte, stand das vom berühmten französischen Hotelbauer Horace Edouard Davinet konzipierte Hotel noch nicht — der Hotelpalast mit Turmkuppeln "à la Louvre" öffnete erst 1875 seine Tore. Auch die Giessbachbahn, die älteste noch betriebene Standseilbahn der Schweiz, die von der Schifflände am Brienzersee zur Hotelanlage hinaufführt, nahm erst 1879 ihren Betrieb auf. Und: Als Miss Jemima 1863 hier ankam, war die Pension Giessbach, die heute als Personalhaus dient, ausgebucht und ihre Gruppe musste/durfte in einem zum Hotel gehörenden Chalet übernachten.

Hier Thomas Cook's first Conducted Tour of Switzerland im Schnelldurchlauf mit Google Earth (in 3:54):


Zum Start der Google-Earth-Tour auf das Bild klicken! Mit dem Control-Panel unten links lässt sich die Tour jederzeit anhalten, mit dem Klick auf die gelben Marker erscheinen Zusatzinformationen zu Miss Jemima's Schweizreise (mit Rechtsklick verschwinden sie wieder). Ist die Tour einmal unterbrochen, kann man sich mit der Google-Earth-Steuerung am rechten Rand umschauen und das Panorama geniessen.

Das Gute an Google Earth: Es ist immer schönes Wetter, der Himmel blau und die Aussicht grossartig. Und man kann gefahrlos abheben.
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